Geschichte | Bräuche | Orte | Figuren | Hintergrund | Glossar | Termine | Herstellung | Gedanken | Zeitschrift | Forum | Links |
|
Imster Schemenlaufen (Tirol)
"D'Imster giahn in d'Schalla" Auch außerhalb des deutschen Südwestens haben sich beeindruckende Fasnachten erhalten, herausragend unter diesen ist das Schemenlaufen in Imst in Tirol. Nur alle 4 Jahre schlüpfen die Imster Männer und Burschen ins Fasnachtskostüm, über 800 an der Zahl. Schon früh morgens fiebert das Städtchen im Tiroler Oberland 1 Woche vor dem kalendarischen Fasnachtssonntag dem traditionsreichen Schemenlaufen voller Spannung entgegen. Für einen Nachmittag werden Spiel und Tanz das Leben in den Straßen und Gassen von Imst bestimmen, und für nichts in der Welt würden die Aktiven auf diese unvergesslichen Stunden verzichten wollen. "Des isch a Feierdoag, wia Weihnochda, Oschdern, Silveschder, Geburtsdoag, Mamas Geburtsdoag, alles mitenand, soviel isch des, des isch wie a Virus, do kocht's Bluat, do kemme die Zacher (Tränen) in dia Auga, des isch was ganz Großes", so fasste es Vorroller Luis vor Jahren in Worte. "Roller" und "Scheller", das sind die Hauptfiguren bei dem großen Ereignis, das zu den ältesten und eindrucksvollsten Fastnachtsbräuchen Europas zählt und ein Rest lebendiger Tiroler Volkskultur ist und nicht, wie viele andere Maskenbräuche in den Alpenländern, eine Schauveranstaltung für Touristen, wenngleich auch dieses seltene Spektakel alle 4 Jahre tausende von Zuschauern aus nah und fern nach Imst zieht. "Söll' mer huire in d'Fasnacht giah?", so lautet die rhetorische Frage des Obmanns des Fasnachtskomitees traditionell am Dreikönigstag, wenn sich die Imster Fasnachtler zur Vollversammlung treffen. "Ja!", ist die einhellige Antwort, zum ersten mal seit langem ertönt wieder der Fasnachtsmarsch, und von da an werden Hunderte Kostüme und Masken auf Hochglanz gebracht, viele davon alte Prachtstücke, die meisten in Privatbesitz, Volkskunst von unschätzbarem Wert. Das Schemenlaufen ist zwar reine Männersache, doch in der Vorbereitungsphase gehören die Frauen zu denjenigen, die mit am meisten zu tun haben. Man näht, stickt, schmückt und bügelt das Kostüm des Ehemanns, Bruders oder Vaters. Aber auch an den Fasnachtswägen mit ihren prächtigen Aufbauten arbeiten die Männer oft Wochen und Monate unter strengster Geheimhaltung, und ab Dreikönig kann man die allsonntäglich übenden Roller und Scheller in den Abendstunden bei ihren Probeläufen ohne Masken, aber mit Schellen und Rollen auf den Straßen hören und sehen. Abraham a Santa Clara, der durch Witz und Wortspiel bekannte Augustinerprediger, machte mit dem Schemenlaufen auf einer Reise von Wien in seine schwäbische Heimat Bekanntschaft. "Es ist an verschiedenen Orten - auch hier - der Brauch, daß Bürger und andere gemeine Leute zur dummen und wütigen Faßnachtzeit auf einen Tag ein Schemenlaufen belieben. Nun, es mag ihnen vergonnt werden,(...). Aber das Schemenlaufen soll nicht ein Schelmenlaufen seyn, ansonsten in den Kotter mit euch, ihr Tabackbrüder und Weynzapfen!", notierte er 1683 in seinem Tagebuch, die erste urkundliche Erwähnung des Schemenlaufens. Maskenumzüge gab es in Tirol schon im Mittelalter, wie amtliche Dokumente belegen. Zu Beginn der Neuzeit aber, als das Schemenlaufen immer öfter in wüste, oft gar tödliche Schlägereien ausartete, trachtete die Obrigkeit die "Mascaraden und Mummereyen" einzuschränken; zumindest der Besitz von Waffen wurde untersagt, dann jeder nächtliche Umzug, schließlich wurde das Tragen von Teufelsfratzen verboten und im Jahr 1707 dann das ganze Schemenlaufen. Viele Tiroler aber machten sich nichts aus solchen Verboten, allen voran die Imster. Im Jahre 1775 fand ein "Schemenprozeß" in Pfunds im oberen Gericht statt. Die Burschen des Ortes hielten sich nicht an das Fasnachtsverbot und rückten zum Schemenlaufen aus. Als sie sich deswegen vor Gericht zu verantworten hatten, rechtfertigten sie sich damit, daß auch in Imst und andernorts "die Schemenlaufferey ungehindert gestattet werde". Im Rahmen der Prozeßaussagen stellte sich heraus, daß man in Imst gleich dreimal in die Fasnacht ging. In Imst wollte man allen Unterdrückungsmaßnahmen zum Trotz von der Liebe zur Fasnacht nicht ablassen. Und so klingen die Erzählungen nur allzu glaubwürdig, in denen berichtet wird, dass beim großen Brand des Ortes von 1822, den von den damals 220 Häusern nur 14 unbeschädigt überstanden, so mancher Imster all sein Hab und Gut verlor - nur sein "Larvle" konnte er aus den Flammen retten... Und gerne erzählen die Imster auch die Geschichte eines Schulleiters, der seiner vorgesetzten Dienststelle 1829 meldete: "(...) wurde der ganze gestrige Nachmittag ein Ferialtag, weil es bei diesem Maskenlaufen wegen alter, eingewurzelter Gewohnheit nicht möglich war, die Schüler, wovon viele ohnehin nicht gerne die Schule besuchen (...), zusammenzubringen." Für die Imster beginnt das Schemenlaufen schon früh um halb sieben, allerdings noch unmaskiert, mit einem Gottesdienst zu Ehren aller verstorbenen Schemenläufer – selbst Hexen finden hier den Segen Gottes. Gleich nach der Messe rufen berittene Herolde die Fastnacht aus und ein Zug von Maskierten zieht von der Oberstadt in Richtung Unterstadt, der - ähnlich der Labara - bestimmte Schildbürgerstreiche und lustig-peinliche Geschehnisse, die sich im Lauf der vergangenen Monate im Ort so zugetragen haben, aufs Korn nimmt ("Figatter"). Um halb zehn Uhr beginnt der Aufzug der Masken von der Unter- in die Oberstadt, und die Fasnachtswägen fahren auf. Um ½ 12 Uhr müssen alle Larven abgenommen werden, bis pünktlich um Mittag nach dem letzten Schlag des Zwölfuhrläutens Böllerschüsse das Zeichen zum Beginn des Schemenlaufens geben. Mit dem "Pemsl" (Pinsel), einer Art Wedel, bestehend aus einem Stab mit ausgefranstem Weidenholz am oberen Ende, gibt der "Vorroller" das Zeichen zum Aufbruch. Er ist der Zugmarschall, die ranghöchste Maskengestalt, der Mann mit der größten Autorität; alle hören auf sein Kommando, voran die Scheller und Roller, die zusammen jeweils ein "Paarl" bilden. Ihr Spiel ist bis ins Detail festgelegt: Fast ständig tänzeln die zierlichen Roller um die schwerfälligen Scheller – einstudierte Rollen. Der Roller trägt eine jugendlich-weibliche, faltenlose Maske mit kunstblumenbehaftetem Kopfputz, dem "Schein", in dessen Mitte sich ein Spiegel befindet. Sein Charakteristikum ist das "Gröll", ein Ledergurt, der mit 40 bis 48 Rollen besetzt ist und um die Hüften getragen wird. Sein Widerpart, der Scheller, weist eine streng dreinblickende, faltendurchzogene Larve mit weitausladendem "barocken" Schnauzbart und einen um vieles größeren Kopfputz mit Spiegel und Eibenkranz auf. Der Apfel am Schellerstab ist für jene Frau, die den Kopfaufputz gefertigt hat, ihn "aufgeputzt" hat, reserviert. Seine Hüften sind mit dem bis zu 35 kg schweren "Gschall", vier bis zehn handgeschmiedeten Kuhschellen, die je zur Hälfte vorn und hinten an einem breiten Lederriemen hängen, umgürtet. Diese läßt er ertönen, sobald ihn "sein" Roller durch den entsprechenden Tanz dazu aufgefordert hat. Beim "Gangl", ihrem gemeinsamen Tanz, mischt sich das Bimmeln der Roller mit dem dumpfen Schlag der Scheller. Die heftigen Hüftbewegungen der Scheller rufen nicht nur beim Zuschauer sexuelle Assoziationen hervor, sondern werden auch von den Akteuren, die sie als "Ehestandsbewegungen" bezeichnen, in diesem Sinne verstanden. Den rituellen Tanz ihrer jugendlich-kraftstotzenden Vorbilder parodieren schließlich "Laggeroller" und "Laggescheller" (lagg = schlapp), die sich als alte, schlampige Weiber und Männer zeigen und die eleganten Bewegungen der ersteren durch ein langsames, aber originelles Gehabe ins Lächerliche ziehen, parodieren. Damit niemand das Spiel der Scheller und Roller stört, wird der "Kroas" (Kreis) der Roller und Scheller durch die Gruppe der "Ordnungsmasken" von allzu verwegenen Zuschauern freigehalten. Zu ihnen zählt man die "Sackner", "Spritzer" und "Kübelemajen": der "Wifligsackner" mit wilder, furchterregender Larve, schwerem Faltenrock (dem "Wifling") und Fatzelkappe, der "Turesackner" mit hohem Hut (dem "Ture") und zweifarbigem Bajazzokostüm, und der "Bauresackner" in alter Tiroler Tracht. Mit Säcken, die meist mit Maisstroh gefüllt sind, schlagen sie den Weg für die Masken frei. Den Sacknern zur Seite stehen die "Spritzer", ständig tänzelnde Gestalten, die mit meterlangen Wasserspritzen, die sie während des Schemenlaufens an den Dorfbrunnen immer wieder auffüllen, den Weg frei machen. Neben dem Altfrankspritzer in barocker Bürgerkleidung mit samtenem oder tuchenem Frack (dem namengebenden "Altfrank") mit Dreispitzhut und spöttischer Knebelbartmaske treten auch die exotisch anmutenden Mohrenspritzer (nur 5 an der Zahl) und die Engelspritzer (nur 3 an der Zahl) in ihren Rokokokostümen in Erscheinung. Die beiden letzteren dürften über das Dreikönigsspiel in die Fasnacht gelangt sein. Die "Kübelemaje", die in der einfachen Tracht einer Almsennerin gewandet ist und eine mädchenhafte Larve trägt (mit "Maje" ist im alttirolerischen Sprachgebrauch ein nettes Mädchen gemeint), hält in der einen Hand einen kleinen Holzkübel, der mit Puder gefüllt ist, in der anderen einTüchlein, mit dem sie die Gesichter des Publikums bestäubt. Für schwarze Bäckchen und Nasen sorgen die "Ruaßler", flinke Kaminkehrer, die mit ihren Leitern all denen nachsteigen, die vom Balkon oder Fenster aus das Spektakel verfolgen. Ausgeburt der Häßlichkeit dagegen sind die Hexen, mit großen Warzen und Borsten an Kinn und Nase der zweigeteilten Maske (das "Gschnapp"). Ihnen voran zieht die "Hexenmutter", die zum Zeichen ihrer Macht die Rute schwingt. Der Hexenvater, kostümiert als Altfrank, spielt eher die Rolle eines Pantoffelhelden und trägt das Hexenbuch, in das sich alle Hexen mit roter Tinte eintragen müssen. Dazu erklingt die einmalig scheußliche Hexenmusik, die von Buben dargestellt wird. Der Name des markantesten ihrer Instrumente - "Scheißheislebaß", einem hölzernen Vorgänger der Basstuba - sagt schon viel über dessen Wohlklang aus. Beim Schemenlauf dabei sind aber auch Bären, Bärentreiber, Affen - und Vogelhändler in Altimster Tracht mit einer Kraxe auf dem Buckel: Erinnerung an die Blütezeit des Tiroler Vogelhandels, den Carl Zeller mit seiner gleichnamigen Operette weltberühmt machte. Schließlich folgen die bereits erwähnten kunstvollen Fasnachtswägen mit den unterschiedlichsten Motivaufbauten. Den Abschluß des Zuges bildet die so genannte "Labara", eine aus etwa 25 Mann bestehende Bänkelsängergruppe in Frack und Zylinder, die auf humorige Weise in Wort, Bild und Gesang allerlei Moritaten und Schwänke in Mundartreimen vorträgt. An einigen Stellen, besonders vor alten Wirtshäusern und Brunnen, wird haltgemacht, um Bürger und Prominente "einzuführen", wobei die Auserwählten von einem Roller- und Schellerpaar eigens ein Gangl präsentiert bekommen und dann zur Kassa geleitet werden, wo sie eine Breze und ein Abzeichen erhalten. Der Eingeführte, für den dieser Ritus eine große Ehre ist, bedankt sich mit einem Geldbetrag, dem Obolus. Auch auf den Wagen wird fleißig eingeführt; dort wird man mit köstlichen, aber hochprozentigen Produkten bewirtet. Ein sehr altes Ritual beim Schemenlaufen stellt auch das "Brunnenführen" dar: Wenn ein Roller sein Kind oder eines aus der Verwandtschaft erspäht, nimmt er dessen Hand und führt es tänzelnd zum nächsten Brunnen. Dort taucht er seinen Pemsl in den Wassertrog und besprengt das Mädchen oder den Knaben leicht mit dem kühlen Naß. Nach dieser auch "Brunnentaufe" genannten Segenszeremonie erhält das Kind eine Breze und wird wieder zurückgebracht. Schlag sechs, mit dem Ave-Läuten, geht der Mummenschanz zu Ende. Die Imster nehmen ihre Larven ab, das Schemenlaufen ist vorbei. Die meisten sind müde, aber zufrieden. "'S halbe Leben", sagt einer, der seit langem dabei ist, würde er fürs Schemenlaufen geben, "wenn's sein muss sogar 's ganze!" Um die Buben in Imst dereinst zu richtigen Fasnachtlern zu machen – was ohnehin nicht besonders schwierig ist -, wird jeweils zwei Jahre vor dem "großen" Schemenlaufen eine Fasnacht der "Kleinen", der 6 bis 16 Jahre alten Buben, eine "Buabefasnacht" eben, abgehalten. Und alles läuft schon genauso ab wie bei den Großen, nur dass alle, selbst die Hexenmusik, ein ganzes Stück kleiner sind. Auch das ist eine Besonderheit der faszinierenden Imster Fasnacht. (Narrenspiegel 2000) Quellen: "Badische Neueste Nachrichten" vom 8./9.2.1992, die Artikel von Manfred Waltner unter www.fasnacht.at sowie Friedrich Haider - Tiroler Brauch im Jahreslauf, Innsbruck-Wien-Bozen 1990, Bilder © NarrenSpiegel |
|
Querverweise
|
|