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Fasnet in Oberschwaben
"Wohlan, die Zeit ist kommen, wo närrisch Groß und Klein...", singen die Plätzler in Weingarten, das sich in den närrischen Tagen zwischen Dreikönig und Aschermittwoch traditionsbewusst "Altdorf" nennt. Auch die anderen oberschwäbischen Städte verwandeln sich in diesen Tagen in ein närrisches Tollhaus. Sicher: Die Fasnet ist kein spezifisch oberschwäbisches Phänomen. Auch in anderen Gegenden Südwestdeutschlands geht es närrisch zu. Und Narren verstehen sich sowieso alle als Brüder - egal, woher sie stammen. Doch soll an dieser Stelle der Fasnet in Oberschwaben besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Zunächst muss mit einer alten "Narretei" aufgeräumt werden: Die heutige Fasnet ist keineswegs ein in die Gegenwart herüber geretteter kultischer Brauch der Germanen. Vielmehr ist die Fasnet als Ventilsitte beziehungsweise Schwellenfest vor der Oster-Fastenzeit besonders stark von katholischen Einflüssen geprägt. Dies gilt gerade auch in Oberschwaben, das nicht ohne Grund bis heute als "katholisches Oberland" im Gegensatz zum evangelisch geprägten Unterland bezeichnet wird. Gerade aus Oberschwaben, das unmittelbar nach der Gegenreformation in der Barockzeit zur Blüte kam, sind recht frühe Spuren der Fasnet nachzuweisen. Allerdings stammen diese ersten Belege keineswegs aus der Zeit der Germanen, sondern aus dem 15. Jahrhundert, und es waren damals auch keine vereinsmäßig organisierten Zünfte, welche Fasnet machten, sondern lockere Gruppen meist männlicher Jugendlicher - aber es war eben Fasnet. In Weingarten findet sich der erste Beleg 1525 in den Akten des Reichsklosters: "Item, es soll auch keiner noch keine sich in die Mummerei verweben, weder Tag noch Nacht, peen 10 Pfd." Die Geschichte der Fasnet war eben meist eine Geschichte der Fasnetsverbote. Die Narrenzunft Bad Saulgau beruft sich auf eine Chronik von 1355, welche erstmals Fasnetstreiben im Ort erwähnt. Von 1487 stammt der erste Beleg aus Bad Waldsee. 1679 wurde die Fasnet in Aulendorf erstmals urkundlich erwähnt. In den protestantischen oder paritätischen Reichsstädten, also in Ravensburg, Biberach, Isny, Leutkirch und in Buchhorn, dem heutigen Friedrichshafen, erlosch die Fasnet bald nach der Reformation zur Gänze. Karneval in Oberschwaben und eine späte Rückbesinnung Obwohl die Fasnet heute häufig einer sehr alten Tradition bezichtigt wird, ist - nicht nur in Oberschwaben, aber auch da - keine unmittelbare Entwicklung von der Fasnet der frühen Neuzeit bis heute festzustellen. Vielmehr stand die Fasnet um 1800 vor dem Aus. Zahlreiche Fasnetsverbote machten den Narren das Leben schwer. Nur wenige Jahre, nachdem der Großteil Oberschwabens vom Herzogtum Württemberg annektiert wurde, galt dort ein von Stuttgart ausgehendes generelles Fasnetsverbot: "... dass für die Zukunft alle Vermummungen auf Straßen und an öffentlichen Orten allgemein verboten ..." Ausgehend vom Rheinland verbreiteten sich dagegen ab 1820 zunehmend karnevaleske Formen in Süddeutschland. Landauf, landab wurde der Prinz Karneval ausgerufen, die "alte" Straßenfasnet wurde durch Karnevalsbälle ersetzt, an denen meist nur die örtlichen Honoratioren teilnahmen. Um 1900 regte sich in den kleinen oberschwäbischen Städtchen Widerstand: Vor allem die Handwerker und "einfachen" Leute holten die alten Narrenhäser (Häs ist der schwäbische Ausdruck für "Gewand") wieder hervor oder fertigten nach alten Vorlagen neue Häser an. Diese Leute belebten die Straßenfasnet neu, gründeten Narrenzünfte und brachten die "alte" Fasnet wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung zurück. Übrigens: Im Rheinland gab es ähnliche Bestrebungen. Diese scheiterten jedoch, weil dort die Rückbesinnung auf die "alten Traditionen" ehemaliger Reichsstadtherrlichkeit nicht mehr möglich war - aufgrund der fortschreitenden Industrialisierung und weil zahlreiche Menschen aus anderen Gebieten des Deutschen Reiches zugezogen waren. Vor hundert Jahren war fast überall im Südwesten der Karneval durch die schwäbisch-alemannische Fasnet abgelöst worden. Doch die nächste Krise stand bereits bevor. Während der Kriegsjahre 1914 bis 1918 und der Weltwirtschaftskrise wollte oder konnte kaum jemand Fasnet feiern. Daher trafen sich am 16. November 1924 die Vertreter von 18 Zünften in Villingen, um einen Interessenverband zu gründen: die "Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte" (VSAN) war geboren. In den dreißiger Jahren gab es vereinzelt eine Annäherung an die Nationalsozialisten, vereinzelt aber auch massiven Widerstand gegen das Regime. Nach 1945 begann der Wiederaufbau der Narrenzünfte. Und seit den siebziger Jahren gibt es einen Fasnetsboom, der bis heute anhält. In nahezu jedem Dorf, in jeder Stadt Oberschwabens gibt es mittlerweile eine Narrenzunft, teilweise sogar mehrere. Nach Gründen für diesen Fasnetsboom sucht man leider vergebens. Es macht halt einfach Spaß, im Narrenhäs Schabernack zu treiben. Und gerade in der heutigen Zeit des Internets und globalisierter Märkte suchen die Menschen Halt in "regionalen Traditionen" - und finden diese zum Beispiel in der Fasnet, welche übrigens keineswegs so regional beschränkt war und ist, wie viele meinen. Gerade die schwäbisch-alemannische Fasnet hat in ihrer jahrhundertelangen Geschichte immer wieder Einflüsse, Moden und Entwicklungen anderer Länder, anderer Kulturen übernommen. AIs Besonderheit unter den Narrenfiguren Oberschwabens soll der "Gole" (Goliath) aus Riedlingen erwähnt werden: eine Figur mit überlebensgroßem Kopf aus Pappmaschee. Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die zahlreichen Tierfiguren. Als Beispiele mögen hier "Werners Esel" in Bad Waldsee und das "Fasnetsbutzarössle" aus Weingarten genügen, welche als Einzelfiguren den Umzug begleiten. Gesichtslarven aus unterschiedlichen Materialien gehören ebenfalls zu einem oberschwäbischen Fasnetsnarren: Sei es das mit Mehl eingestäubte Gesicht des Hemdglonkers, die Stofflarve der "Wusele"-Narren in Munderkingen, die Draht-Gaze-Maske des Fasnetsbutzarössle-Reiters aus Weingarten oder die aus Holz geschnitzte Glatt- oder Schrecklarve, die heute am häufigsten zu finden ist. Zu den klassischen Narrenattributen zählen Schellen, Rollen, Fuchsschwanz, aber auch die Saubloter (Schweinsblase) oder die Karbatschen (kurzstielige Peitschen). Und die Hexen führen meist einen Besen bei sich, mit dem sie den Mädchen und jungen Frauen unter die Röcke fahren oder akrobatische Übungen vollbringen. Man weiß ja, dass die Karnevalisten des Rheinlands alljährlich am 11. 11. in den Karneval schunkeln. In Oberschwaben dagegen beginnt das närrische Treiben erst am 6. Januar - am Dreikönigstag, am Tag der Epiphanie und des Altneujahrs. Da "schnellen" die Plätzler in Weingarten mit ihren langen Karbatschen die Fasnet ein, da werden in vielen oberschwäbischen Orten die Narrenhäser abgestaubt. Mancherorts treffen sich die Narren auch zum Dreikönigsessen. Wenig später sind die meisten Narren schon unterwegs zu größeren und kleineren Narrentreffen. Die Grundidee, ein Narrentreffen zu veranstalten, wurde übrigens 1928 von Hermann Eris Busse entwickelt und im Dritten Reich als "närrische Heerschau" besonders stark propagiert. Der "Gumpige", "Gompige" oder"Schmotzige" Donnerstag Die eigentliche Fasnet beginnt heute in den meisten Orten mit dem "Gumpigen", "Gompigen" oder auch "Schmutzigen Donnerstag" - dem Donnerstag vor Aschermittwoch. Als lokale Besonderheit ist hier Munderkingen zu erwähnen, welches bereits eine Woche zuvor den "Glompigen Donnerstag" feiert. Die Brauchformen jedoch sind überall in Oberschwaben dieselben: Da werden die Kinder aus den Schulen befreit, die Bürgermeister abgesetzt, als äußeres Zeichen närrischer Obrigkeit die Narrenbäume aufgestellt. In vielen Orten wird die Fasnet entweder verkündet (zum Beispiel in Weingarten) oder ausgegraben beziehungsweise zum Leben erweckt (zum Beispiel in Ehingen/Donau). Mancherorts findet dann noch ein sogenannter "Hemdglonkerumzug" statt, bei dem die Menschen in weiße Nachthemden gekleidet und mit geweißten Gesichtern bei Dunkelheit durch die Städte gehen und dabei mit Kochtöpfen, Rasseln oder ähnlichen Dingen einen Höllenlärm veranstalten. Man vermutet, dass dieser Brauch in Konstanzer Schülerkreisen entstanden ist. Neben den Narrentreffen veranstaltet jede Narrenzunft in den Tagen zwischen dem Gumpigen Donnerstag und Aschermittwoch in ihrem Heimatort einen eigenen Fasnetsumzug, bei dem meist auch befreundete Zünfte aus der Nachbarschaft eingeladen sind. Man vermag die Atmosphäre eines solchen Narrenumzugs nicht zu beschreiben. Man muss die Fasnet selbst als Fasnetsnarr erlebt haben, um es zu verstehen: "Wenn oinr an d'r Schtroß schtoot und briagat, wenn d'Narra d'Schtadt nab gonnt, denn hot'r d'Fasnet im Herza", sagte ein alter alemannischer Fasnetsnarr. (Übersetzung: Wenn einer am Straßenrand steht und weint, wenn die Narren die Stadt hinunterziehen, dann trägt er die Fasnacht im Herzen.) Dicht gedrängt stehen die Zuschauer in den Gassen und rufen lauthals die Narrenrufe und Narrenverse der einzelnen Zünfte. Neben dem einheitlichen Narrenruf "Narri - Narro" hat in Oberschwaben jede einzelne Narrenzunft ihren eigenen Ruf. So schreien sie in Bad Saulgau "Doraus, detnaus - bei der alta Linda naus", in Weingarten "Breisgau! - Ofaloch!", in Ehingen "Kügele - hoi", in Kisslegg "Schnarragagges - Heidenei", in Tettnang "Montfort - Jehu" und in Aulendorf "Ha, ha, ha, jo was saischt au?". Dabei sind die Narrenrufe alle so angelegt, dass der erste Teil vom Fasnetsnarr gerufen wird, der zweite Teil als Antwort von den Zuschauern am Straßenrand. Teilweise werden die Narrenverse nicht nur gerufen, sondern mit einem eigentümlichen Singsang vorgetragen, also skandiert. Neben den Narrenrufen gibt es zahlreiche Fasnetslieder, Narrenmärsche und Sprüche, welche zu Gehör gebracht werden. Dass diese Melodien nicht selten alten Militärmärschen oder kirchlichen Prozessionsmärschen entnommen sind, soll nicht unerwähnt bleiben. Bereits im Kindergarten lernt der Narrennnachwuchs, der "Narrensamen", diese Sprüche und Lieder auswendig. Meist belohnen die Narren die Kinder mit "Gutsla" (oberschwäbisch für Bonbons), Brezeln oder heißen Würsten samt Wecken dazu. Dies erinnert daran, dass die Fasnet zumindest zum Teil in den Bereich der "Heischebräuche" hineingehört, bei denen die Kinder von Haus zu Haus ziehen, Lieder singen, Sprüche aufsagen und dafür Grundnahrungsmittel (heute dagegen eher Süßigkeiten) erheischen. Begehrt waren auch die in heißem Fett herausgebackenen Fasnetsküchlein. Mit ihnen war bereits im Mittelalter ein Rechtsbrauch verbunden: das Küchleinholen. Dabei waren die Grundherrschaften (auch die Klöster) verpflichtet, ihren Leibeigenen ein Küchlein als Gabe zu reichen. Dieser Brauch wurde oftmals mit einem Festmahl verbunden. Später hatten auch junge Handwerksgesellen Anspruch auf "ihr" Küchlein. Auch heute noch werden in Oberschwaben Fasnetsküchle gebacken. Und jedes Kind kennt den alten Narrenspruch: "Lustig ist die Fasenacht, wenn mai Mutter Kiachla bacht. Wenn se aber keine macht, dann isch für mi koi Fasenacht." Eine regionale Besonderheit sind die "Wusela" in Munderkingen - eine besondere Art des Wecken - sowie die "Kügela" in Ehingen/Donau und die "Schörkela" in Aulendorf. Nicht immer jedoch sind die Narren nur brav: Häufig werden auch Spottverse auf jemanden verfasst, da werden Zuschauer geneckt, da werden mit Streckscheren Hüte vom Kopf der Zuschauer geangelt, da werden mit "Saublotra" (Schweinsblasen) sanft die Köpfe der Zuschauer malträtiert, Haare mit Konfetti verschönert oder gar junge Mädchen huckepack ein paar Meter im Umzug mitgenommen. Andere Narren halten den Zuschauern den Narrenspiegel vor und verkünden aus Büchern närrische Weisheiten. Dies nennt man "Aufsagen". Dass Narren tatsächlich in einem gewissen Sinne "Narrenfreiheit" genießen, beweisen auch die zahlreichen kritisch-humorvollen Anekdoten der Narrenblättle, die in vielen Narrenorten verbreitet sind. Das "närrische Rügerecht" stellt zwar einerseits bestimmte Personen und Personengruppen an den Pranger; andererseits ist es eine besondere Ehre, von Narren gerügt zu werden. Dies alles geschieht schließlich unter dem Motto: "Allen zur Freud - Niemand zu Leid!" Beim "Brunnensprung" in Munderkingen hüpfen die jungen Burschen in den eiskalten Stadtbrunnen, um danach jedes "Mägdlein" küssen zu dürfen. Die Narren waschen zu Fasnetsbeginn "ihren" Narrenbrunnen rein, um anschließend den Narreneid zu leisten: "Alle Menschen zu lieben, niemand zu hassen und das ganze Jahr über nur gut zu sein". Unweigerlich kommt einern da der Begriff von der "Reinwaschung" der Seele in den Sinn. Möglicherweise also eine besondere Form der "Narrenbeichte" - wer weiß? Am Fasnetsdienstagabend wird je nach Ort die Fasnet begraben, ersäuft oder verbrannt. In Weingarten setzt sich der Trauerzug gegen 19 Uhr in Bewegung, bis zum Narrenbaum am Münsterplatz. Vorneweg der "Beerdigungsverein" mit der aufgebahrten Narrenpuppe aus Stroh, dahinter kommen die Narren, kräftig in ihre Tücher heulend. Nach mehreren Beerdigungslitaneien wird beim Narrenbaum die Strohpuppe verbrannt. Die Narren erhalten vom "Maskenmeister" noch das "Weihwasser", dann geht es zum Leichenschmaus. Punkt 24 Uhr sind auch die letzten Narren zu Hause. "Oh jerum, oh jerum, dia Fasnet hot a Loch!" Am Aschermittwoch um 4 Uhr nachts wird der Narrenbaum umgesägt. Später trifft man sich - ohne Narrenhäs, versteht sich - zur Aschermittwochsmesse in der Basilika. Am Abend wird in den meisten oberschwäbischen Orten ein gemeinsames Kässpätzle-Essen veranstaltet. Am Sonntag nach Aschermittwoch (Funkensonntag oder Sonntag Invocavit) treffen sich die Mitglieder der Narrenzünfte zum Funkenring-Würfeln. Ein Funkenring ist ein Gebäck aus Mürbteig. Und abends lodern dann überall in Oberschwaben die "Funkenfeuer". Parallelen zum Fasnetsverbrennen sind durchaus gegeben. Im südlichen Oberschwaben kennt man heute noch die Bezeichnung "alte Fasnet" für jenen besagten Sonntag. Und auch die oberschwäbische Redensart "Der kommt hintadrei wia die alt Fasnet" erinnert daran. Und spätestens nach dem Funkensonntag flüstern es sich die Narren heimlich zu: "'S goht dagega!" - es geht der nächsten Fasnet entgegen. Quelle: Guy-Pascal Dorner, in: Schönes Schwaben, 2/2001, Silberburg-Verlag Tübingen |
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Querverweise
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