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Strohbärtreiben in Wilflingen

Trinkfest und robust

Lautes Peitschenknallen und Gejuchze. Langsam, Schritt für Schritt wankt das übergroße Geschöpf auf zwei Beinen vorwärts, um den Leib dicke Seile gebunden. Deren Enden führen zu drei geißelschwingenden, maskierten Gesellen: 
Der Strohbär, den die drei „Clons“ über die Straße des kleinen ehemaligen hohenzollerischen Dörfchens treiben, ist eine außergewöhnlich rustikale Fastnachtsfigur, die es nur noch vereinzelt bei der schwäbisch-alemannischen Fasnet gibt. Die 900-Einwohner-Gemeinde Wilflingen, die am Rand der Schwäbischen Alb liegt und sich selbst alsStrohbär mit Treibern „Narrennest“ bezeichnet, hat diese Fastnachtsattraktion noch zu bieten. 
Billige Verkleidung

Verglichen mit den bunten Fleckle- und Fransennarren oder auch mit anderen Einzelfiguren, die sich im schwäbisch-alemannischen Fastnachtsgeschehen tummeln, kann der Strohbär keinen Schönheitspreis erwarten: Stachlig, un-förmig und ungelenk kommt er daher, eingepackt in ungedroschenes, langhalmiges Stroh. Doch gerade das macht ihn wohl bei einer „zunehmenden Ästhetisierung der Brauchformen“, die der Freiburger Volkskunde-Professor Werner Mezger beobachtet hat, so attraktiv und außergewöhnlich.
Von seinem menschlichen Träger verlangt das Strohbärkostüm einiges an Kondition, Geduld und Vertrauen. Das struppige Gewand wird „maßgeschneidert“: Am ganzen Körper, von den Fü-ßen bis zum Kopf und sogar vor dem Gesicht werden Strohbündel befestigt. Die über den Kopf hinausragenden Hal-me hält ein übergestülpter bodenloser Weidenkorb zusammen. Übergroß und dicht mit Stroh bepackt kann sich der Mensch nun kaum mehr bewegen; nur eine schmale Öffnung gewährt Sicht nach außen - nichts für Leute, die sich schnell beengt und ausgeliefert fühlen. Doch das permanente Einflößen von Schnaps durch die Treiber erleichtert dem Träger seine Arbeit. Die Klaustrophobie verfliegt im Dunst des Hochprozentigen.


Schellnarr folgt tänzelnd
Der Strohbär ist schon alleine optisch ein krasser Gegensatz zu dem schlanken „Schellnarr“, der, einem Harlekin ähnelnd, in vielfacher Ausführung dem langsam dahertorkelnden Strohbären leichtfüßig tänzelnd folgt.
Drei bis fünf offene Schellen hat der Wilflinger Schellnarr um seinen Leib gebunden. Das entspricht einem Gewicht von zehn bis fünfzehn Kilogramm. Unablässig werfen die Schellnarren das Becken nach vorn, um die Glocken infernalisch schrill zum Klingen zu bringen - schweißtreibende Brauchtumsbetätigung. Dazu wippt der am Spitzhut befestigte Pferdeschweif unablässig.
Nicht minder schweißtreibend ist der scheinbar gemütliche Spaziergang des „Strauhbären“, der nur am Nachmittag des Fasnetsdienstags in Wilflingen in Erscheinung tritt. Seine Verkleidung ist nicht mit einem Häs vergleichbar, das immer wieder aus dem Schrank geholt und getragen werden kann. Er muss für jeden Auftritt neu ausstaffiert werden. In der nicht technisierten Landwirtschaft war das kein Problem, da fiel Stroh in Hülle und Fülle an. Und mit der Sense gemäht und dem Flegel gedroschen, hatte es genau die richtige Länge: Man konnte die Halme gut zusammenbinden. 


Der Zunftmeister mäht
Die heutige Zeit der Mähdrescher ist eine schlechte Zeit für richtige Strohbären – und deshalb sind sie fast ausgestorben. Für sie muss immer noch Getreide extra mit der Sense gemäht und mit dem Flegel gedroschen werden. Zumindest in Wilflingen ist es so. Der Zunftmeister selbst übernimmt diese Arbeit. Der „Hoorige Bär“ in Singen dagegen, eine ähnliche Fasnetsfigur, ist nach dem Zweiten Weltkrieg modernisiert worden: Er trägt einen mit Erbsenstroh benähten Drillichanzug und eine zugehörige Holzlarve, die er problemlos anziehen, ausziehen und aufbewahren kann. 


Grenzgänger
In seinem Buch „Narrenidee und Fastnachtsbrauch“ ist Werner Mezger der Frage nachgegangen, wie diese Fastnachtsfigur zu deuten ist. Er nennt den Strohbären einen „unentschiedenen Grenzgänger“: Rein optisch sei er eher den Wilden Leuten verwandt, durch den Namen und seine drei Treiber aber genauso den Bären zuzuordnen. Bären sind häufig im Fastnachtsbrauch anzutreffen.
Den Wildmann kennt man aus der Tiroler Fastnacht, der, mit Flechten und Moos behangen, aber eine eigenständige Tradition hat, die sich bis zu den Nürnberger Schembartbüchern zurückverfolgen lässt. Der Wildmann wurde als ungetaufte, unzivilisierte und gottferne Schreckgestalt aus dem Wald betrachtet. Der Bär wiederum wurde mit dem Teufel gleichgesetzt und seit dem Hochmittelalter stand er als Sinnbild für Wolllust und Unkeuschheit. Dass die Bärenmaskierung in der Fastnacht etwa seit 1540 weite Verbreitung fand, lag aber sicherlich nicht nur an der Tiersymbolik. Vielmehr waren in den Wäldern Mitteleuropas Bären noch verbreitet, sie wurden in Zwingern zur Schau gestellt oder als Tanzbären vorgeführt. 


Sendbote der Hölle
Mezger sieht eine Verbindungslinie zwischen wildem Bär und Wildem Mann; beide stehen im Widerspruch zur Zivilisation und da wilde Leute als abhängig vom Teufel galten, wurde diese Sichtweise wohl auf das Wesen des Bären übertragen. Doch ob der Strohbär nun mehr Bär oder mehr Wildmann ist - wie hinter allen anderen Fastnachtsmaskierungen steht auch hinter den beiden ein Gedanke: Sie widersetzen sich der Gnade Gottes und sind Sendboten der Hölle, so Mezger. Am Funkensonntag wird das Stroh des Bären verbrannt.

In Wilflingen wird das abgelegte Stroh des Bären als Verkörperung des Dunklen, des Winters gedeutet und am Sonntag nach Aschermittwoch, dem Funken-sonntag verbrannt. Und zur nächsten Fasnet wird wieder von Hand gemäht und gedroschen und ein neuer Strohbär eingekleidet.

Monika Bönisch in "Narri-Narro" 2/2002
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