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Fastnacht zwischen Brauch und Party – Karneval total
Günter Schenk
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Frisch aus der Druckpresse kommt dieses bemerkenswerte Buch. Immer wieder war sie totgesagt, vielerorts jahrhundertelang verboten. Moralapostel stellten sie an den Pranger, Behörden bekämpften sie mit Gesetzen, Diktaturen mit brachialer Gewalt: die Fastnacht, das älteste, größte und für viele auch schönste Volksfest Europas. Heute aber boomt der Karneval, bringen närrische Aktionen viele hundert Millionen Menschen weltweit jährlich auf die Beine. Längst hat er in neuen Formen seine terminlichen Fesseln, die Begrenzung auf die Tage und Nächte vor Aschermittwoch, abgestreift, längst verstehen vor allem junge Menschen die Fastnacht nicht mehr nur als katholisches Schwellenfest vor der österlichen Fastenzeit sondern mehr und mehr auch als große Party.
Immer vielfältiger werden die närrischen Formen. Millionen Menschen sind inzwischen in karnevalistischen Gesellschaften organisiert, in Vereinen und Clubs, die lokal, regional, überregional und längst auch international vernetzt sind. In den protestantischen Regionen Europas, jahrhundertelang närrische Diaspora, und in den ehemaligen sozialistischen oder kommunistischen Staaten des einstigen Ostblocks findet der Karneval mehr und mehr Freunde, macht man sich auch dort einen Spaß daraus, für ein paar Stundenoder Tage die Welt auf den Kopf zu stellen oder zumindest so zu tun. Angesichts fortschreitender Globalisierung und zunehmender Technisierung suchen immer mehr, vor allem junge Menschen, ein Ventil, um Dampf abzulassen, einmal aus der Haut zu fahren oder gar die Sau rauszulassen.
Karneval, Fasching und Fastnacht sind im Umbruch. So gilt der neue Sommerkarneval, mehr Event und Spektakel als Brauchtumsfeier, Fastnachtsfunktionären als Todsünde, trüben doch vielerorts Wildpinkler, Schnapsleichen und prügelnde Narren das öffentliche Bild; kratzen so am Image eines Festes, das Jung und Alt unterschiedlich wahrnehmen. Während die einen im Karneval vor allem einen Brauch sehen, den meist schon Väter oder Großväter pflegten, versteht die Mehrheit junger Leute das Fest heute vor allem als feucht-fröhliche, ausgelassene Feier.
Wie viel Wandel aber verträgt die Fastnacht? Sind wir nicht längst alle Teil eines globalen Unterhaltungsbetriebes geworden, der unter dem Etikett Karneval heute rund um die Uhr Stimmung macht? Dieses Büchlein soll helfen, den närrischen Sinn zu schärfen, versuchen, kommende Generationen an das Fest heranzuführen; Fakten liefern zu seiner Geschichte und Zukunft, vor allem aber auch einen Blick über die Grenzen werfen, ist doch Fastnacht ein europäisches, ja sogar ein internationales Fest.
Über die Zukunft der Fastnacht entscheiden weder närrische Funktionäre noch die Schatzmeister der Vergnügungsindustrie, sondern einzig und allein das souveräne Narrenvolk, eine Gemeinschaft Gleichgesinnter, denen das Fest einst nicht gegeben wurde, sondern die es sich selbst gegeben haben. Diese Freiheit gilt es zu bewahren und in einer globalisierten Welt gegen alle Anfeindungen zu verteidigen. Fastnacht, Fasching und Karneval nämlich sind Begegnungen der Seelen, mehr jedenfalls als permanenter Nervenkitzel.
Kein anderer Journalist ist in Sachen Fastnacht so weit gereist wie Günter Schenk. Seit der ersten Ausgabe gehört er zum festen Stamm der Korrespondenten von Narri-Narro. Alljährlich berichtet er in dieser Zeitschrift von Fastnachten außerhalb des schwäbischalemannischen Kerngebietes. In seinem neuen Buch zeigt er die Entwicklungen auf, die Karneval und Fastnacht in den vergangenen Jahren gemacht haben und die vielleicht auch den Traditionsgebieten der schwäbisch-alemannischen Fasnet noch bevorstehen.
Dieses Buch ist ein absolutes Muss für jeden Zunftmeister und Narrenrat, denn es zeigt auch eklatante Fehlentwicklungen der Narretei auf. Und wenn die Zünfte nicht aufpassen, wird es nicht mehr lange dauern, bis die ersten Narren in Holzmasken und mit Gschell durch die Sommerfasnet jucken.
Sabine Schelle
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