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Wertschöpfung aus Tradition
Der Karneval von Binche und die Konstituierung kulturellen Erbes

Markus Tauschek

Die Fasnet ist in Wilflingen seit alters zu Hause. Auch wenn ein Rottweiler das Kleidle eines Federahannes anlegt oder ein Elzacher in seinen Schuttig-Anzug schlüpft, so geschieht dies im Bewusstsein, etwas Besonderes zu tun. Die Zugehörigkeit der beiden Zünfte zum Viererbund adelt das Vorgehen. Ähnlich verhält es sich, wenn aus einem Villinger ein Narro wird; nicht selten mit dem Titel „Narren-Aristokrat“ ausgezeichnet. Was aber mag in einem Bürger des belgischen Städtchens Binche
vorgehen, der sich zum dortigen Karneval in einen Gille verwandelt? Seit 2003 ist sein Karneval nämlich von der UNESCO mit dem Prädikat Welterbe versehen.

Markus Tauschek betritt mit seiner Dissertation Neuland, denn zum Zeitpunkt der Ernennung gehörte der Bincher Karneval neben einem spanischen Mysterienspiel und einem sizilianischen Puppentheater zu den ersten europäischen immateriellen Kulturgütern, die in den Rang eines „Masterpieces of the Oral and Intangible Heritage of Humanity“ erhoben wurden. Aus volkskundlicher Sicht untersucht Tauschek nicht nur, wie die Brauchakteure mit dem verliehenen Titel umgehen, sondern auch, ob und wie sich der Brauch selbst seither gewandelt hat.

Dabei begann die Einflussnahme bereits mit der Erstellung des Bewerbungsdossiers, das ganz genauen, von der UNESCO vorgeschriebenen Anforderungen zu folgen hat. Da die Leiterin der zuständigen Intangible-Heritage-Sektion der UNESCO die Rolle der Frau im Karneval von Binche als nicht thematisiert ansah, drohte die Bewerbung schon früh zu scheitern. Ein EU-Mitgliedsstaat dürfe sich schließlich nicht der Verletzung der Menschenrechte schuldig machen, wenn im Bewerbungsfilm ein Karnevalist die Aussage trifft, dass Frauen in der Tat vom Karneval ausgeschlossen seien. Selbst dann nicht, wenn es auch in Belgien zur Tradition gehört, dass Männer sich im Brauch als Frauen verkleiden.

Noch größere Hürden stellten für die
Bincher Brauchträger um den Museumsleiter Michel Revelard inhaltliche Vorgaben dar. Denn die UNESCO verleiht den Titel des kulturellen Erbes der Menschheit nur, wenn das Kulturgut einer konkreten Gefahr ausgesetzt ist. Der Karneval in Binche aber boomt. Als Narrenstück kann die Lösung angesehen werden: Das Übermaß an Traditionalität sei die Gefahrenquelle des Bincher Karnevals. Damit, so Markus Tauschek, müsste in letzter Konsequenz der Karneval vor sich selbst geschützt werden. Die UNESCO akzeptierte diese Gefahrenquelle dennoch.

Mit seiner wissenschaftlichen Arbeit hat der Dozent für Europäische Ethnologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel die Fastnachtsforschung fortgeschrieben. Es geht um die brisante Frage, wie das gesteigerte Interesse, schlussendlich auch durch Fernsehübertragungen und Ganzjahrespräsentationen im Internet, diese zeitlich und örtlich begrenzten Bräuche verändert.

Beeindruckend auch, wenn der junge Volkskundler in den narrativen Schreibstil wechselt. Durch seine präzisen, lebhaften Schilderungen erhält der Leser mehrfach den Eindruck eines Zuschauers ersten Ranges; etwa wenn Tauschek das zelebrierte Anlegen des Gille-Kostümes oder seine eigenen ersten Versuche
den tänzelnden Schritt der belgischen Narrenfigur zu erlernen, wiedergibt.

Nach dem Erstlingswerk von Markus Tauschek als Allein-Autor darf man gespannt sein auf seine kommenden Projekte:
Plus oultre!

Etienne Chauvet

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