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Bajass und Domino
von Günter Schenk Auf den ersten Blick scheinen sie so gar nicht zu den wilden Gestalten schwäbisch-alemannischer Fastnacht zu passen. Neben Teufeln, Hexen und anderen Schreckgestalten nehmen sich Domino oder Bajass recht zahm aus. Beide aber haben eine lange Fastnachtstradition, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Und beide fanden den Weg aus Italien zu uns. Der Domino als eine bequeme Maskenkleidung, wie man sie besonders gern im venezianischen Karneval trug. Der Bajass oder Bajazzo über die Commedia dell’Arte, zu deren lustigmachenden Figuren er gehörte.
In den Stadtfarben Blau und Gelb springt der Bajass durch das Schwarzwald-Städtchen Waldkirch. Zu Hunderten gleich, nicht als Einzelfigur wie in der hessischen Fastnachtshochburg Herbstein, wo der Bajazz die närrische Schar beim traditionellen Springerzug anführt. Besonders beliebt ist der Bajazz auch in der Innerschweiz, wo er als Bajazzo-Buob und Bajazzo-Meitli unterwegs ist, das vermutlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Ergänzung zum männlichen Spaßmacher geschaffen wurde. In Mainz ist der Bajazz seit eineinhalb Jahrhunderten Aushängeschild des traditionsreichen Mainzer Carnevalvereins, der mit der Figur in Anzeigen, Liederheften oder Umzugsprogrammen für die Fastnacht wirbt. Und auch die Mainzer Hofsänger, die bekannteste der närrischen Sangestruppen im Land, stecken im Bajazzkostüm. Am bekanntesten aber machte die Narrenfigur ein promovierter Zahnarzt, der als „Bajazz mit der Laterne“ in den 1950er- und 1960er-Jahren vor Millionen Fernsehzuschauern den Politikern die Leviten las.
Während der Mainzer „Bajazz mit der Laterne“ oft ganz klassisch im weißen Narrenkleid und mit Halskrause in Erscheinung trat, steckt der Bajass von Waldkirch im blau-gelben Schellenkleid. Als Narrenschwert trägt er eine Pritsche, an der vor allem die jüngsten Bajasse in Waldkirch ihren Spaß haben. Narrenzepter und Krone dagegen führt der Bajazz in Herbstein ins närrische Feld, dessen Tracht Tiroler Einflüsse prägen. So vielfältig wie die Figur sich heute präsentiert, so bunt ist auch ihre Geschichte. Denn hinter dem Bajazz steckt ein italienischer Theaterheld. Eine Figur aus der Commedia dell’Arte, die einst als Pagliaccio von sich reden machte.
In der Commedia dell’Arte kam dem Bajazzo, genau genommen seinem Vorgänger Pedrolino oder Pierro, die Rolle eines dummen Dieners zu, der aber ebenso auch ein toller Liebhaber sein konnte. Immer wieder von seinen Vorgesetzten geschlagen und gedemütigt spielte er sich so im 16. Jahrhundert in die Herzen der Italiener. Pierrot hieß er in Frankreich, wo ihn Moliere populär machte. Meist trat er mit weiß gepudertem Gesicht auf, nicht mit Maske wie später. Im 17. Jahrhundert war der Bajazz häufig in einem (oft beschmutzten) weißen Hemd mit meist viel zu langen Ärmeln und riesigen Knöpfen, weiten Hosen und hohem Hut aufgetreten, den hin und wieder eine Hahnenfeder schmückte. Mit einem großen Bajazzohut zeigt er sich noch heute auf einer Anfang des 18. Jahrhunderts entstandenen Kirchstuhlwange im Rottweiler Heilig-Kreuz-Münster. Dort ist der Bajass als Hahnenreiter verewigt. Ein Bild, das dem Rottweiler Guller Pate gestanden haben könnte.
Wie im Mittelalter wurde der witzige Narr von der Theaterelite zum Erfüllungsgehilfen des Bösen degradiert. Zum gesellschaftlichen Außenseiter, zum Menschen ohne Vernunft und Verstand. Weil dieses Wesen aber im Kern der Fastnachtsidee entsprach, schließlich galt es, einmal im Jahr die Welt auf den Kopf zu stellen, fanden die von Wanderbühne und Straßentheater verbannten Lustigmacher im Karneval immer mehr Anhänger. Figuren wie Columbine, Pierrot und andere belebten in vielen katholischen Regionen die Straßenfastnacht. Als „buntscheckige Gestalten“ machten sie in Zeitungsreportagen von sich reden. So schwärmte anno 1802 der Reporter der „Zeitung für die elegante Welt“ in einer Reportage aus Überlingen von einem „ganz neuen Schauspiel“, das „im kleinen eine Nachahmung des Karnevals von Venedig“ sei. „Diese Narrenprozession dauert nun vier Tage lang, von Mittag bis Mitternacht, und Sie können denken, wie toll es dabei hergeht“, versuchte der Journalist seine Leser für einen Ausflug an den Bodensee zu gewinnen. „Da gehts von einer Zunft auf die andere, von Wirtshaus zu Wirtshause – überall ertönt Musik und Tanz; was nicht selbst von diesem Strome hingerissen wird, das liegt neckend und geneckt in den Fenstern und bewirtet die herumziehenden Masken an seinem Tische in zahlreichen Familienzirkeln. Jubelgeschrei und Peitschenknall lassen schon von weitem Savoyarden und Zigeuner und den ganzen bunten Markt von Venedig erwarten.“ Überall in den größeren katholischen Städten des deutschen Südwestens ging es damals ähnlich zu, wie die Archive der ältesten schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte eindrucksvoll belegen.
Eine der Masken, die im närrischen Treiben immer wieder anzutreffen war, hieß Domino. Der Domino war vor allem auf den Maskenbällen zu sehen, konnte man das Kostüm doch oft für wenig Geld in den lokalen Maskengarderoben ausleihen. Auch in der Straßenfastnacht begegnete man dem Domino hin und wieder. So wie noch heute in Haigerloch, wo die Dominos am Fasnetsdonnerstag die Schüler befreien. In Dominokostümen sind auch die Begleiter der Schnabelgiere in Meersburg unterwegs, wo einem Reisejournalisten schon Anfang des 19. Jahrhunderts die vielen venezianisch geprägten Masken aufgefallen waren. Und auch auf der Baar findet sich in Aasen noch ein Domino unter den Maskengestalten.
Am stärksten verbreitet aber ist die Figur in der Innerschweiz – etwa im Klosterdorf Einsiedeln, in Schwyz oder Unterägeri. Hier trägt der Domino ein Kostüm aus dunkelfarbigem Samt mit leichtem Goldbesatz. Als Kopfbedeckung dient eine aufrecht stehende, gestopfte Kapuze mit über die Schultern hängendem Pelzoberteil. Bei den Schwyzer Nüsslern gilt der Domino, der dort „das“ Domino heißt, nach Definition der Zunft als „wild-wirblig“, aber auch als der typische Intrigant und verschlagene „Schleicher“. Sein Äußeres aber würde heute kaum noch jemand mit den einfachen Mönchsgewändern von einst in Verbindung bringen. So trägt das Domino bei den Nüsslern zu weißen Stulpen ein bis unter die Knie reichendes, einfarbiges Samtkleid in Rot, Blau, Grün oder Schwarz. In der Regel ist es mit großen farbigen Blättern verziert und mit Gold- oder Silberstreifen gefasst. Die spitze Kapuze mit Schulterkragen ist ausgestopft. Außerdem gibt es in der Stadt gleich zwei verschiedene Domino-Larven: ein freundliches Mädchengesicht mit schwarzer Nasen-, Augen- und Stirnpartie – und eine plumpe Maske mit roter Knollennase.
Dass hinter dem Knollengesicht kulturgeschichtlich eine venezianische Maske steckt, ahnt heute kaum einer der Betrachter. Wer sich freilich näher mit der Kulturgeschichte der Commedia dell’Arte beschäftigt, wer schaut, wie in ganz Europa zu Fastnacht verschiedenste Maskengestalten unterwegs sind, die alle einmal auch als Bühnenfiguren von sich reden machten, erkennt die Wechselwirkungen zwischen Bühne und Brauch. So wie heute Masken aus Science-Fiction-Filmen und Gruselstreifen das Halloween-Fest und viele neue Nikolausbräuche beleben, inspirierten die Lustigmacher italienischer Wanderbühnen eben einst die Narren. Commedia dell’Arte Die italienische Volkskomödie bestand in der Regel aus einem festen Handlungsgerüst, das den Schauspielern viel Raum zur Improvisation ließ. Stegreif-Theater nannte man es deshalb auch oft. Thema war fast immer die Liebe zwischen Männern und Frauen, die zu immer neuen Komplikationen und Verwirrspielen führte. Ihre Dynamik bezogen die Stücke zudem aus den Gegensätzen ihrer Bühnentypen. So spielten Jung neben Alt, Geizige neben Verschwendern, Pedanten neben Lebemännern, Edelleute neben Bauern, Herren neben Dienern. Zu den ersten bekannten Akteuren der Commedia dell’Arte gehörte der aus Padua stammende Schauspieler und Sänger Angelo Beolco (1502–1542), der mit seiner Truppe sowohl auf Jahrmärkten als auch am Hof des Herzogs von Mantua gastierte. Die Diener und Bauern in seinen Stücken ließ er bergamaskisch oder paduanisch reden, ihre Herren venezianisch oder bolognesisch.
Zu den Publikumslieblingen der Commedia dell’Arte zählten gewöhnlich die Narren, die in Gestalt bäuerlicher Diener von sich reden machten – so wie der Zanni, der als Fastnachtsnarr noch heute in Norditalien anzutreffen ist. Sein Name leitete sich von Giovanni ab. Jenem damals weitverbreiteten Allerweltsnamen Hans, den auch die ersten deutschen Narrenfiguren wie der Hanswurst trugen. Lumpen- oder Lappenkostüme gehörten zu ihrer Grundausstattung, dazu eine Halbmaske aus Holz, später aus Leder mit Bart und Haar. Unmäßig, gefräßig, versoffen, treulos und feige verkörperte der Zanni die typischen Eigenschaften des Narren, was ihm beim Publikum, das seinen einfachen Mutterwitz liebte, viel Sympathien einbrachte. War der Zanni im Norden Italiens zu Hause, kam Pulcinella aus der Gegend von Neapel. Auch er war ein Diener mit ähnlichen Charaktereigenschaften wie der Zanni, trug aber ein Pludergewand aus grobem Stoff in den Farben Grün, Braun und Rot und einen breitkrempigen, mit Hahnenfedern besetzten Spitzhut. Ein Kostüm, das auch den deutschen Hanswursten als Vorbild diente – und dem Kasperl im Wiener Volkstheater. Später wandelte sich sein Kostüm, trat der Pulcinell im weißen Gewand mit weiten Ärmeln, einer schwarzen Halbmaske und einem spitzen weißen Hut auf – und ähnelte damit ein bisschen dem Bajazzo. Theaterexperten zählten mehr als ein halbes Hundert verschiedener Typen auf der Bühne der Commedia dell’Arte. Gegen Mitte des 16. Jahrhunderts waren die ersten italienischen Spielleute in kleinen Gruppen in Deutschland aufgetreten, unter anderem in Nördlingen, Nürnberg, Regensburg, Augsburg und Straßburg. Auch wenn das Volk meist wenig von den italienischen Texten verstand, ihre Spielkunst – zu der Fechterei ebenso gehörte wie Seiltanz, Gaukelspiel, Stelzengang, Radschlagen, Kopfstand, Feuerfressen und Grimassenschneiden – überzeugte. Auch eine Vielzahl närrischer Bräuche, vom Moriskentanz bis zum Bespritzen mit Wasser, wie es sich im Tiroler Raum bis heute erhalten hat, nutzten die wandernden Komödianten zur Stimmungsmache. Besonders erfolgreich waren die italienischen Wanderbühnen in Frankreich. So wurde Paris im 18. Jahrhundert zum Zentrum ihrer Schauspielkünste, bis sie mit der Französischen Revolution auch dort verboten wurden. Pagliaccio Der Pagliaccio gehört wie der Zanni oder der Arlecchino zu den Dienerfiguren der italienischen Commedia dell’Arte. Sein Name wird vom italienischen Bajaccio abgeleitet, was so viel wie Spötter heißt. Andere Deutungen verweisen auf das Wort „pagliaccio“, womit man im italienischen ehemals einen Strohsack bezeichnete. Diese Interpretation legt auch die französische Bezeichnung der Figur nahe, wo der Bajass als Paillasse, also ebenfalls als Strohsack, firmiert. Allgemein gilt der Bajass als Vorläufer des Pierrot. Mit seiner 1892 in Mailand uraufgeführten Oper „Der Bajazzo“ (Originaltitel: „Pagliacci“) rückte der Komponist Ruggero Leoncavallo den lustigen Spaßmacher in den Mittelpunkt eines musikalischen Werkes – zusammen mit Columbina und Harlekin, zwei weiteren Figuren aus der Commedia dell’Arte. Domino Der Begriff Domino geht auf das lateinische Wort „Dominus“ für Herr zurück und bezeichnet einen wadenlangen, oft seidenen oder samtenen Umhang ohne Ärmel mit Kapuze. Dazu trug man in der Regel eine Maske aus Leder oder Pappmaschee. Ursprünglich war das Herrenkostüm eine Mönchskapuze, wie sie viele Geistliche vor allem im Winter trugen, um Kopf und Gesicht vor Kälte und Schnee zu schützen. Wegen seiner Einfachheit fand der Domino im Karneval schnell Verbreitung, garantierte er seinem Träger – gleich ob Mann oder Frau – doch jene Anonymität, die es ihm leichter machte, im närrischen Spiel über die Stränge zu schlagen. „Der Bequemlichkeit wegen“, heißt es in einem Damen- Conversations-Lexikon aus dem Jahr 1835, „ist diese Tracht auf Maskenbällen sehr gebräuchlich.“ |
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