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Der Villinger Häsmaler Erhard Fleig
Wenn eine Ansichtskarte aus China einzig und allein "An den Häsmoler von Villingen" in Deutschland adressiert seinen Empfänger problemlos erreicht, so sagt das sicher etwas über den Bekanntheitsgrad und die Wertschätzung des Malermeisters Erhard Fleig in seiner Heimatstadt Villingen aus, und man kann wohl mit Fug und Recht sagen, dass er in Villingen die erste Adresse in Sachen Häsmalerei ist. Fleig, 65 Jahre alt, bemalt seit über 35 Jahren Villinger Narrohäser, und seit er Rentner ist, kann er sich diesem Hobby voll und ganz widmen, wobei ihm auch gern seine Tochter hin und wieder unter die Arme greift. Der Grundstoff jedes Villinger Narrohäs ist reines Leinen. Gefordert ist besonders feste Qualität, die heutzutage nicht immer leicht zu bekommen ist und in größeren Mengen abgenommen werden muss. Beim derzeitigen deutschen Lieferanten der Narrozunft Villingen, bei dem die Leinenstoffe aufgrund der besonderen Webart noch auf alten Webstühlen gefertigt werden müssen, beträgt die Mindestabnahmemenge 5 Ballen, wobei ein Ballen aus ca. 20 m Stoff besteht. Für ein großes Narrohäs benötigt man ca. 4,5 m Stoff (Preis: ca. 220 Euro). Damit der Stoff nicht ausfranst, wird er vom Hersteller imprägniert und um Fusseln, die zu unschönen, kaum zu korrigierenden Farbflecken außerhalb der aufgemalten Motive führen könnten, zu vermeiden, abgeflammt. Aufpausen und Bemalen Nachdem Erhard Fleig ein Häs fertig genäht von einer Näherin bekommen hat, nimmt er als ersten Arbeitsschritt eine seiner in Pergamentpapier gestanzten Motivvorlagen (Schablonen), die er in 4 verschiedenen Größen vorliegen hat, und legt diese auf den Leinenstoff, ein Hosenbein, einen Ärmel usw. Nun nimmt er ein poröses Leinentuch, in dem sich von ihm eigens in einer Kaffeemühle gemahlener Holzkohlenstaub befindet. Damit reibt er über die Vorlage auf dem Leinen und paust somit das Motiv auf. Nach Abnahme des Pergamentpapiers sind die gepunkteten Umrisse des Motivs, eines Hasen, eines Löwen usw. auf dem Häs zu sehen. Diese Umrisse werden dann mit Lackfarben ausgemalt. Die Deckkraft der Farbe ist so groß, dass einmaliges Auftragen genügt. Für die Feinarbeit wie den Auftrag feiner Linien verwendet er einen so genannten Malstock als Auflage für die malende Hand, um den Pinsel genauer führen zu können und gleichzeitig die bereits aufgetragenen Farben zu schonen. Die zu verwendenden Farben mischt Erhard Fleig selbst zusammen, und zwar aus Ölfarben und Leinöllack, wobei das richtige Mischungsverhältnis besonders wichtig ist. Im Gegensatz zu den bei anderen Zünften heute oft verwendeten Textilfarben dürfen in Villingen nur die alten, schon früher gebräuchlichen Lackfarben benutzt werden. Diese nutzen sich zwar leichter ab als moderne Textilfarben, doch sie verleihen dem Stoff und somit dem aufgetragenen Motiv eine größere Steifigkeit, auch nachdem der Leinenstoff beim Waschen seine Imprägnierung verloren hat. Für die Farbgebung ist eine bestimmte Farbpalette vorgegeben, die sich an noch erhaltenen jahrhundertealten Häsern orientiert. Erhard Fleig hat alle 8 verwendbaren Farbtöne, zu denen noch schwarz und braun hinzukommen, auf einem Musterstreifen zusammengestellt, der sowohl ihm als auch anderen Villinger Häsmalern als Referenz dient. Knallige Farben sind somit auf dem historischen Villinger Häs verpönt, und das würdevolle Erscheinungsbild des Narro, den der Volkskundler Werner Mezger als "Highlight und stolzesten Vertreter seiner Art" bezeichnet hat, wird auch durch die vorwiegend gedämpften Farben bestimmt. Besondere Problembereiche auf dem Häs sind dort, wo beim Tragen die Rollen- oder Glockengurte aufliegen und beim Springen des Narro an der Farboberfläche scheuern. Dann bewirkt Überfarbe Verfärbungen in der unmittelbaren Umgebung der bemalten Motive auf dem Kittel des Narro. An einem Häs malt Erhard Fleig 60 – 70 Stunden. Die Kosten dafür belaufen sich auf ca. 850 Euro. In einem Jahr verlassen etwa 5 Häser seine Werkstatt. Wenn man ihm heute bei der Arbeit zuschaut, so merkt man, mit welcher Routine und Erfahrung er zu Werke geht, doch, so weiß er zu erzählen, auch er musste früher Lehrgeld bezahlen, bis er sich die entsprechenden Techniken und das nötige Wissen angeeignet hatte. Die Motivwahl und ihre Deutung Das bemalte Narrohäs wie auch Kragen (Halskrause) und Holzsäbel sollen aus der Commedia dell'arte ihren Eingang in die Villinger Fasnet gefunden haben. Die Motive für die Bemalung auf dem Villinger Narrohäs sind streng vorgegeben und orientieren sich ganz an standardisierten überlieferten Vorlagen. Im "Musée International du Carnaval et du Masque" von Binche (Belgien) befindet sich das vermutlich älteste erhaltene Narrohäs, das etwa 220 Jahre alt sein dürfte. Auf dem Kittel (auch "Schobe" genannt) vorne rechts (aus Sicht des Trägers) findet sich ein Hase, links ein Fuchs. Auf der Kittelrückseite prangt ein "Hansel" mit leerer Dose, der einer Katze den Schwanz hochhält, so als wolle er ihr, einem Goldesel gleich, einige Dukaten abringen. Auf der Hose vorne links ist ein Bär abgebildet, rechts ein Löwe, darüber, so Fleig, eine Gruppe aus 3 stilisierten, ineinander übergehenden Äpfeln, die die 3 Lebensabschnitte Jugend – Mittelalter – Greis symbolisieren sollen. Auch auf der Rückseite der Hosenbeine findet man wiederum diese "Apfelgruppen", darunter rechts "Hansel" mit Wurst und Keule oder Narrenkolben und links "Gretel", die eine "Hechel" (Gerät mit scharfen Drahtspitzen zum Durchziehen und Reinigen von Flachs und Hanf) in der Hand hält. Beide tragen keine Villinger sondern eher alpenländisch-tirolerisch anmutende Trachten, was wohl auf die vorderösterreichische Vergangenheit Villingens (1326 – 1805) zurückzuführen ist. Auf der Kappe, die an der Scheme (Maske, hier "Schemme" genannt) befestigt wird, sind schließlich die Portraits einer Frau und eines Mannes aufgemalt, die wiederum Hansel und Gretel darstellen sollen. Auf den Ärmeln sind vorne Blumen und hinten Würste abgebildet. Erstere dienen auch an anderen Stellen des Häs neben Ranken, so genannten Arabesken, als Raumausfüller. Lange Zeit wurden die verschiedenen Villinger Häsmotive ausschließlich im Sinne der germanisch-mythologischen Winteraustreibungs- und Fruchtbarkeitstheorie interpretiert, während dieses Verständnis von Vertretern des christlichen Deutungsansatzes der Fasnacht schon seit geraumer Zeit in Zweifel gezogen wird. Die Geister scheiden sich beispielsweise darüber, ob der Bär nun als ein Symbol des Winters oder als heraldisches Motiv anzusehen ist oder doch was ganz anderes, z.B. die Unkeuschheit, darstellen soll. Der Hansel auf der Kittelrückseite wird auch als Symbol des "Aschermittwoch" gedeutet, der einen "Kater" und kein Geld mehr hat. Die "Hechel" der "Gretel" weist wohl auf das während der Fasnet in Villingen ausgeübte "Strählen" hin (der Narr zieht im übertragenen Sinn sein Gegenüber, wie einst die Bäuerin die Flachsbüschel, durch das kammartige Nagelbrett). Beim "Strählen" spricht der Narr den unvermummten Mitbürger (den "Gestrählten") auf der Straße oder im Gasthaus an und kann diesem hinter der Scheme ohne Rücksicht auf die soziale Stellung des Angesprochenen unverhohlen und geradeheraus die Meinung sagen, ihn rügen, ihn mit der Kenntnis der einen oder anderen Begebenheit überraschen oder einfach Unsinn reden. Abweichende Ansichten gibt es auch zur "Wurst", die mal als Feiertagssymbol, mal als Symbol der Fleischeslust im doppelten Sinne verstanden wird. Ganz unstrittig ist hingegen, dass so ein kostbares Häs eine pflegliche Behandlung und Reinigung verlangt. Um ein Malheur zu vermeiden, sollte es daher nur von Hand mit Kernseife in der Badewanne gewaschen und gebürstet werden. Moderne Waschmittel würden die Farben blass machen, da die Farbpigmente ausbleichen. Schemenfassen Neben dem Häsmalen hat sich Erhard Fleig auch dem Schemenfassen verschrieben, d.h. er bemalt auch Villinger Schemen mit Ölfarbe bzw. bessert Schemen aus, bei denen die Fassung beschädigt ist, und versieht sie mit einer Schutzschicht aus wasserverdünntem Lack. Dieser hat gegenüber dem früher verwendeten Celluloselack den Vorteil, dass er nicht so lange riecht. Und der Beitrag des Fassmalers ist nicht unbedeutend. Erst Schnitzkunst und Fassung zusammen ergeben ein Gesamtkunstwerk, verleihen der Scheme Ausdruck und hauchen ihr Leben ein oder eben nicht. Für jedes Jahr legt Fleig ein neues Fassmalerzeichen fest, das beidseitig an der Scheme in Augenhöhe angebracht wird. Fester Bestandteil jedes Zeichens ist ein Halbmond, der durch ein oder mehrere weitere Zeichen nach Belieben des Fassmalers ergänzt wird. Woher das Halbmond-Zeichen, wie es auch von anderen Fassmalern benutzt wird, rührt, ist nicht bekannt. Nach dem Fassen bringt seine Frau Birgit an der Scheme den zugehörigen Rosshaarkranz an. Der Besuch in der Werkstatt von Erhard Fleig war ein ganz besonderes Erlebnis. Denn wie es der Zufall manchmal so will: wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, kann man bei einem Glas Wein in geselliger Runde mehr über die Fasnet und die Liebe der Menschen zu ihrer Fasnet erfahren, über das, was die Herzen der Menschen dabei bewegt, aber auch ihre Gemüter erregt, als man als Außenstehender jemals erfahren würde, auch wenn man Jahr für Jahr an der Fasnet als Zuschauer am Straßenrand stünde. Veröffentlicht in "Narri-Narro" 4/2004 |
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