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Die Guggemusik Vom chaotischen Lärmorchester zur Power-Brass-Band von Frank Schmohl Ein kalter, nebliger Februarabend mitten im badischen Dreiländereck. Obwohl draußen vor der Halle Minustemperaturen herrschen, geht es drinnen heiß her: Auf der Bühne steht eine fünfzigköpfige Guggemusik. Wir sehen blitzendes Blech, glänzendes Chrom, schaurig-schöne Masken und (vermutlich) sündhaft teure Kostüme. Wir hören „Hold the Line“ von Toto. Perfekt arrangiert, dynamisch dargeboten. Die Choreographie bis ins Detail einstudiert. Die Halle tobt. Der Gugge-Major hat Guggemusik und Publikum fest im Griff. Neben mir steht ein älterer Herr. Obwohl er sichtlich beeindruckt ist, schüttelt er dennoch den Kopf: „Des isch doch kei Gugge meh’.“ Aha. Was aber war denn nun Guggemusik? Und was ist aus ihr geworden? Schweizer Spezialität Lärmumzüge kennen wir in vielen Kulturkreisen seit Jahrhunderten. In unseren Breiten sind diese unter den Begriffen „Katzenmusik“, „Tschättermusik“ oder auch „Charivari“ seit langem bekannt. Vornehmlich traten solche Erscheinungen bei Winter- und Frühlingsbräuchen auf sowie als Mittel der knabenschaftlichen Volksjustiz. Ein Beispiel aus dem Jahre 1888 aus der Schweizer Gemeinde Allschwil macht dies deutlich: Dort zog eine Katzenmusik, veranstaltet von etwa 30 Altkatholiken nach deren Gemeindewahlsieg, vor jedes römisch-katholische Haus. Dies geschah bezeichnenderweise in der Nacht nach dem Herrenfastnachtssonntag. Unbestritten ist heute die Tatsache, dass die Guggemusik, wie wir sie kennen, ihren Ursprung in der Schweiz, genauer gesagt, in Basel hat. Sie entstand an der Schwelle des 20. Jahrhunderts (vermutlich) als Persiflage auf die unglücklichen Versuche, die Basler Fastnacht durch Blasmusikkapellen aufzupeppen. Das Wort „Guggemusik“ findet sich zum ersten Mal im Jahre 1906 im „Verzeichnis der Fastnachtszüge“ in Basel. Das Bemerkenswerte daran ist, dass sich keinerlei Erklärungsversuche finden lassen. Dies deutet darauf hin, dass der Begriff als solcher längst gebräuchlich war. Niemand stellte die Frage, was denn eine Guggemusik sei. Es ist als durchaus sicher festzuhalten, dass zumindest guggenähnliche Kapellen schon früher auftraten, wie einige Namen vermuten lassen: die „Humoristische Zukunftsmusik“ (1870) oder auch die „Wasserwerkler-Musik“ (1902). Gugge, Güggli, Güggi Woher der Name „Guggemusik“ kommt, ist auch heute noch nicht abschließend geklärt: In Basel und im benachbarten Südbaden versteht man unter einer „Gugge“ eine spitze Papiertüte, wie sie unsere Großeltern noch kannten. Haben die ersten Gugger in Papiertüten geblasen? Es sei auch erwähnt, dass man den Diminutiv von „Gugge“, also „Güggli“, im schweizerischen Liestal für ein schlecht klingendes Kindertrompetchen kennt, wie man es z.B. auf Jahrmärkten kaufen kann. Als „Güggi“ wird im Baselbiet außerdem ein „Schreihals, Lärmer, schlechter Trompeter“ bezeichnet. In eine andere Richtung zielt die Deutung, dass die ersten Guggen mit bemalten Papiertüten kostümiert waren. Diese Vermummungsform ist noch heute an der Kinderfastnacht lebendig. Der Schweizer Volkskundler Dominik Wunderlin neigt jedoch zu der Auffassung, dass die Instrumentierung der Musik zu ihrem Namen verholfen hat. Grenzenlose Guggenwelle Während in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts die „Guggenszene“ vor sich hin dümpelte, brach nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Zuge vieler Neu- und Wiedergründungen ein wahrer Boom los, der bis in die heutige Zeit anhält. Im Jahre 1948 trat die Gugge der Basler „Kasino-Gesellschaft“ erstmals am Luzerner Fastnachtsumzug auf. Die Luzerner waren derart begeistert, dass noch am „Güdisdienstag“ desselben Jahres unter dem Vorsitz des Basler Grafikers und Wahlluzerners Sepp Ebinger die „Lozärner Guuggemusig“ gegründet wurde. In den beiden folgenden Jahren wurden die „Chatzemusig Lozärn“ und die „Bohème-Musig“ gegründet. Im Jahre 1953 schwappte die Guggenwelle dann endlich über den Rhein. Im badischen Lörrach wurde die erste und heute älteste aktive Gugge Deutschlands gegründet: die „53er“. Mittlerweile findet man Guggemusiken auch in Lörrachs sächsischer Partnerstadt Meerane, in Großbritannien oder auch in Neuseeland. Dies sind jedoch Exoten, meist initiiert von emigrierten Heimwehschweizern. Welchen Boom die Guggemusik in Basel, Luzern oder auch in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten erlebte, zeigen folgende Zahlen: Waren es im Jahre 1950 in Basel nur ganze zehn Guggen, so schränzten zwanzig Jahre später bereits 28 und im Jahr 1999 insgesamt 68 Kapellen an der Basler Fastnacht. Wobei dies nur die Guggen sind, die offiziell beim Fastnachts-Comité gemeldet waren. Die Dunkelziffer der freien, unabhängigen Guggen liegt deutlich höher. Auch in Luzern sind mittlerweile ca. 100 Guggen in den „Vereinigten Guggemusiken Luzern“ zusammengeschlossen. Womit man Luzern als absolute Guggen-Hochburg bezeichnen kann. Die Schweiz, ein einig Volk von Guggern? Nicht ganz, denn in Basel geben immer noch die Trommler und Pfeifer den Ton an. Und im Kanton Schwyz (dies ist jedoch die Ausnahme) finden wir momentan noch mehr traditionelle Fastnachtsgesellschaften als Guggen. Auch in Liechtenstein existiert mittlerweile ein „Liechtensteiner Guggamusikverband“. In Süddeutschland erfolgte die Gründung des „Süddeutschen Guggemusikverbandes“, später umbenannt in „Deutscher Guggemusikverband“, da sich das Einzugsgebiet nicht mehr ohne weiteres eingrenzen ließ. Mittlerweile lässt sich ohne Übertreibung feststellen, dass fast in jeder Ortschaft der Schweiz und auch in Süddeutschland mindestens eine Guggemusik beheimatet ist. Wo liegen nun aber die Unterschiede? Guggen-Gefälle Eigentümlicherweise lässt sich bei den Guggen, was Kostümierung und Repertoire anbelangt, ein „Ost-West-Gefälle“ ausmachen: Luzern und Basel sind hierfür wieder symptomatisch – während man in Basel eher marschmusikähnliche Klänge pflegt, regieren in Luzern Samba, Rock und Pop. Auch die Kostümierung ist unterschiedlich: Während man in Luzern auf das Aufwändige, Düstere und Mystische setzt, kostümiert man sich in Basel lieber traditionell mit dem „Waggis“, „Stänzler“, „Dummpeter“, „Harlekin“ oder der „alti Dante“. Die Luzerner Guggen haben sich das archaische Moment beibehalten (nicht umsonst sprechen die Luzerner von einer „rüüdig schönen Fasnacht“), während es in Basel (auch im Publikum) wesentlich gesitteter zugeht. Derselbe Unterschied ist interessanterweise auch in den beiden Landkreisen Waldshut und Lörrach auszumachen. Während man im Landkreis Lörrach, bedingt durch die unmittelbare Nähe zu Basel, der Stadt am Rheinknie nacheifert, setzen die Guggen des Landkreises Waldshut analog zu den Luzernern mittlerweile eher auf die bedrohliche, unheilvolle und eher exzentrische Auslebung des Phänomens Guggemusik. Verbeultes oder poliertes Blech Auch in musikalischer Hinsicht haben die Guggen eine rasante Entwicklung durchgemacht: Während am Anfang noch selbst gebaute Instrumente, verbeultes Blech und Melodien, die man kaum erkannte, dargeboten wurden, so pflegt man heute ein wesentlich professionelleres Auftreten – und somit sind wir wieder bei unserer eingangs erwähnten Gugge. Mittlerweile regieren Markeninstrumente, aufwändig gestaltete Sujets, bis ins kleinste Detail einstudierte Choreographien und aktuelle Songs, teils drei-, vier-, sogar fünfstimmig dargeboten, die Szene. Natürlich gibt es auch weiterhin „old-fashioned“ Guggemusik – dies ist auch gut so und wünschenswert – der allgemeine Trend geht jedoch zur eingangs erwähnten Power-Brass-Band. Das Thema „Guggemusik“ ist mittlerweile zu einer regelrechten Prestige- und Materialschlacht geworden. Man muss sich nur einmal die Tatsache vor Augen führen, dass Guggen sogar CDs, Videos und Bücher produzieren. Hier ist auch wieder die Schweiz in einer Vorreiterrolle: Man denke an die Kult-Guggen der Innerschweiz, die regelrechtes Merchandising betreiben und über Homepages ihre Fanartikel verkaufen. Dies erinnert mehr an einen Fußballbundesligisten als an eine Mäskle verkaufende Narrenzunft. Bei unseren Nachbarn in Helvetien werden gar Arrangementkurse für Guggendirigenten von namhaften Musikhäusern angeboten. Soweit sind wir in Süddeutschland zwar noch nicht, doch die Zeichen deuten darauf hin: CDs von deutschen Guggen sind durchaus keine Seltenheit mehr. Von Event zu Event Wie man sieht, beinhaltet das Hobby „Guggemusik“ weit mehr als nur „Krach“ zu machen. Es ist, ohne Übertreibung, ein Full-Time-Job. Es gibt mit Sicherheit billigere, bei weitem weniger zeitaufwändige Hobbys als dieses. Ein Beispiel: Nehmen wir an, Sie sind erster Vorsitzender einer Gugge und auch bei der Ausarbeitung des Repertoires beteiligt. Das Jahr beginnt für Sie mit der fünften Jahreszeit, Sie haben etwa zwischen 20 und 30 Auftritte bis zum Aschermittwoch. Dann folgt in der Regel eine Jahreshauptversammlung, bevor Sie eine kleine Pause einlegen können. Diese ist jedoch nur von kurzer Dauer, denn bereits im Mai beginnen wieder regelmäßige Proben. Das bedeutet, dass Sie auf ungefähr 35 reguläre Proben im Jahr kommen. Hier noch nicht eingerechnet sind zusätzliche Proben, um in kleinem Kreis die neuen Songs auszuarbeiten oder Registerproben durchzuführen. Nebenbei leiten Sie zwischen fünf und zehn Vorstandssitzungen und ungefähr zwei zusätzliche Mitgliederversammlungen. Eventuell führt Ihre Gugge noch zwei (wenn nicht sogar mehr) eigene Veranstaltungen im Jahr durch. Dazu kommen etliche Stunden, die Sie in die Herstellung der neuen Kostüme und Masken investieren sowie in die übrige Vereinsarbeit, die aus Telefonieren, Protokollieren und Organisieren besteht. Ist dann die Fastnacht endlich da, haben Sie bereits 75 bis 80 Vereinsevents hinter sich. Herzblut Der geneigte Leser wird es mittlerweile vermuten: Hier schreibt einer, der mit dem Thema „Guggemusik“ verwachsen ist, einer der seine gesamte Freizeit hierfür opfert – ein Guggensüchtiger. Wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich die meisten der oben genannten Termine hinter mir. Und trotzdem freue ich mich bereits jetzt auf den Beginn der nächsten fünften Jahreszeit, auf den Moment, wenn ich das erste Mal wieder mit meiner Gugge, den „Pfuus-Bagge“ aus Rheinfelden-Eichsel, auf der Bühne stehe. Zum Schluss ein bei uns in Südbaden gebräuchliches Narrensprüchlein: „D’ Fasnacht isch nüt – ohni Guggemusik.“
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