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Mummenschanz im Heidiland
Mit Leidenschaft dabei

von Günther Schenk

Fastnacht in der Ostschweiz
„Rölli, Bölli, Suppächnölli“, schreit die jugendliche Bande vor dem alten Rathaus, „uusä mit dä Butzi.“ Jedes Jahr am Fastnachtssonntag geht das so in Walenstadt, zwingt eine krakeelende Hundertschaft die Butzi gegen Mittag auf die Straße. Eine Handvoll Vermummter, die schließlich hinter der kreischenden Meute herjagen, kreuz und quer durch das alte Ostschweizer Städtchen. Zur Freude der Kinder, aber auch der Eltern, die das Narrenspiel meist selbst aus eigener Jugend kennen. Viel derber als heute freilich, wo die Maskierten statt Schrecken zu verbreiten mehr Wert auf Schau und Selbstdarstellung legen.


Ungebührliche Mummereien
Die Region um den Walensee ist die Schweizer Holzmasken-Hochburg. Eilige Reisende lassen sie meist neben der Autobahn von Chur nach Zürich liegen. Wissen nicht, dass dort viele Dutzend Maskenschnitzer eine Tradition am Leben halten, die Jahr für Jahr an den Fastnachtstagen zum Leben erwacht. Dann zeigen sich die Butzi und Huttli in den Städten und Dörfern des Sarganserlandes. Vermummte, die ihren Namen den schreckhaften Lumpengestalten verdanken, die einst vor Aschermittwoch umherzogen. Zum Unmut von Pfarrern und Behörden, denen der närrische Übermut gar nicht behagte. So hatte schon 1663 ein Kirchenmann der Region seinen Untertanen „weltliche üppigkeiten, als da sind das tanzen, seitenspil, mummereyen, auch insbesondere das nächtliche juchzen und geschrei und andere dergleichen ungebühren alles ernsts und bei höchster ungnad“ verboten.


Skurril verhüllt
Heute geben sich die Butzi gesitteter. Statt Mehl, Ruß oder Asche, die sie sich einst auf Stirn und Backen schmierten, verstecken sie ihre Gesichter hinter handgeschnitzten Holzmasken, deren Originale längst museumsreif sind. In Luzern (Rietbergmuseum), Basel (Museum für Volkskunde), St.Gallen (Historisches Museum), auf Schloss Sargans und im alten Rathaus zu Walenstadt zieren sie inzwischen Sammlungen und Ausstellungen. Geben Zeugnis von einer Volkskultur, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts langsam entwickelte. Damals hatte das Sarganserland seine politische Freiheit erlangt, schnitzten Handwerker und Arbeiter aus Holz skurrile Abbilder ihrer Mitmenschen. Larven mit dicken Backen und Knollennasen. Mit dem Messer gaben sie Stubenhockern und Miesepetern ein Gesicht, formten Spötter und Meckerer mit Runzeln und Warzen. Charaktere, die der Volksmund schnell mit Namen wie Chrottni oder Schlumpf versah.


Das „Geröll“, das dem Rölli den Namen gab


Larven für Nichtalkoholisierte
Stolz zeigt Guido Städler, aktiver Fastnachter und beim Tourismusverband Sarganserland-Walensee die Werbetrommel rührend, die Alte. Eine Maske mit dicken roten Backen, weiß umrandeten Augen und dem Lebensbaum auf der Stirn. Eine der ältesten der Region, die heute im alten Rathaus zu Walenstadt hängt. In einem kleinen Museum, das die fastnachtliche Tradition am Walensee dokumentiert. Auf das Jahr 1832 hat die Maskenforschung das Prachtstück datiert. „Wer sie trug“, erzählt Städler, „wurde einst kostenlos bewirtet. Vor allem für die Ärmeren war es oft die einzige Gelegenheit im Jahr, sich so satt zu essen und viel zu trinken.“
Neben der Alten hängt der Neue. 1895 kam er auf die närrische Welt, auch er mit dicken roten Backen. Alte und Neue sind Gemeindelarven. Masken, die wie eine Handvoll anderer der Stadt gehören und inzwischen jedem gegen eine Leihgebühr von drei Franken pro Stunde zur Verfügung stehen. „Nur Männern allerdings und keinen Betrunkenen“, zitiert Städler aus der Satzung, die den Maskenlauf in Walenstadt regelt. „Und auch die Zeche müssen die Herren heute selbst begleichen.“

Auch der Einscheller gehört zur Fastnacht im Heidiland

Schweiß als Tribut
Schon 1939 hatte man das närrische Treiben erstmals geregelt, den Mummenschanz auf die Zeit von Sonntagmittag bis Dienstagabend begrenzt. Einen Franken kostete die Leihgebühr und der Butzenlauf war auf zwei Stunden pro Teilnehmer begrenzt, der damals volljähriger Ortsbürger sein musste. Heute steht das Maskentreiben auch Fremden offen. Eine schweißtreibende Angelegenheit, denn noch immer verlangen die Einheimischen von ihren Rölli, wie die Butzen in Walenstadt heißen, dass sie wie Generationen vorher die nicht maskierten Kinder und Jugendlichen durchs Städtchen jagen. Wenn es sein muss über Zäune und Mauern, durch Wiesen und Gärten. Und natürlich darf der Rölli trotz aller Hetze nie seine Maske verlieren.


Narrenfreiheit
Walenstadts älteste Maske von 1832 aus dem Museum

Von Walenstadts ältesten Masken, die heute im Museum hängen, sind inzwischen Kopien unterwegs, was die närrische Freude freilich wenig trübt. Sonntagmittags führen sie den großen Fastnachtszug an, der Hunderte von Narren aus dem Sarganserland vereint. Masken aus Flums, Berschis und Tscherlach, umliegenden Dörfern, die oft noch Schnee haben, während unten am See schon der Frühling eingezogen ist. Ein bisschen derber als die Städter gibt sich das Bergvolk, nutzt die Narrenfreiheit für Attacken auf die Nachbarschaft am Straßenrand, der sie mit Wonne durchs Haar fahren oder gar die Gesichter schwärzen. Mit Asche oder Ruß, das die Vermummten in kleinen Säckchen mit sich schleppen. Längst vorbei freilich sind die Zeiten, als der Pfarrer von Flums seine närrischen Schäfchen im Kirchenblättchen zu mehr Anstand mahnen musste. „Nicht der ist der schönste, der mit bluttriefenden Händen und Armen, mit blutigen Tierfellen und ekelerregenden Gegenständen aufrückt und um sich schlägt. Auch der Butzi darf unter der Maske nicht vergessen, dass er doch ein Mensch und ein Christ ist, ein Ebenbild Gottes ...“


Rölli beim Kinderjagen am Fastnachtssonntag
Originale aus dem Sarganserland
Ein halbes Dutzend Guggenmusiken geben Walenstadts Fastnachtszug inzwischen Geleit, versüßen mit schrägen Tönen den Aufmarsch der Narren, die früher gewöhnlich mit Kuhschellen und Glocken unterwegs waren. Auf großen Wagen zeigen Vereine und Schulen, was sie das Jahr über bewegt hat, nutzen so ihr närrisches Rügerecht. Die Spottverse freilich, die man am Fastnachtsdienstag einst öffentlich ausrief, werden heute per Fastnachtszeitung unters Volk gebracht – was der Herausgeber gelegentlich mit zerstochenen Reifen büßen muss. Blickfang aber bleiben die skurrilen Masken der Region. Schräge und bunte Holzgesichter, Miesepeter und Spaßvögel. Originale allesamt, denn am Walensee heißt Fastnacht bis heute noch immer Klasse statt Masse.

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