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Der Fluss im Hals Eine topografische Generalbeschreibung von der Quelle bis zur Mündung während der Fasnet unter Berücksichtigung eigener, unglaublich gefährlicher Floßfahrten von Christof Heppeler Meine Frau trinkt nichts. Null. (Das ist wissenschaftlich nachweisbar ungesund, aber bitte.) Das, lieber Leser, musst du wissen, wenn ich im Folgenden anhebe, von meinem alljährlich identischen Fastnachtsbeginn zu erzählen, um so dem Verhältnis der Narren zum Alkohol auf die Spur zu kommen.
Sie: Willst du nicht mal wieder auf ein Narrentreffen gehen, als Aktiver? Ich: Nein. Zu anstrengend. Ich muss ja am anderen Tag arbeiten. Sie: Man kann auch ohne Alkohol auf die Fasnet gehen und lustig sein. Sieht man ja an mir! Sie hat recht. Aber ich weiß, wovon ich rede. Nach jahrelanger Narrentreffenabstinenz hatte ich mich 2001 nach Stockach begeben. Rückblickend sprechen die Eingeweihten von einem Jahrhundertabsturz. Statt fünf Stunden in gepflegter närrischer Fröhlichkeit wohl geborgen (wie fest versprochen), war ich cirka dreißig Stunden lang vermisst. Und es war schää. Noch heute schießen dem Chefredakteur vorliegenden Fachblattes in seliger Gemeinsamkeit mit dem Autor vorliegenden Fachartikels die Tränen in die Augen, wenn sie wieder einmal von den Erinnerungen an diese gemeinsamen Stunden weggespült werden. Weil es so schää war. Granatenmäßig g’lade ghett, aber soumäßig schää.
der Chefredakteur hat mich mitgerissen. Sie winkt ab. Das sagt er auch von dir! Ich suche Schützenhilfe. Der Künstlerfreund BLIXA BARGELD: Für mich und die Bacchantinnen bleibt der Rausch ein Muss. Der Rockerjahrgänger CAMPINO: Kein Alkohol ist auch keine Lösung! Selbst der feine FREIHERR VON KNIGGE legt jedem, der sich in Gesellschaft einer Runde fröhlicher „Zecher“ begibt, ein massenkompatibles Verhalten ans Herz: ... und wenn man den Tag mit ernsthaften Geschäften hingebracht hat und dann von ungefähr des Abends in einen Zirkel solcher muntrer Gäste gerät, so ist fast kein anders Mittel zu finden (oder man müßte denn von Natur immer zum Scherze aufgelegt sein), als ein wenig mitzuzechen, um sich denselben Schwung zu geben. Anschließend höre ich mich noch RABELAIS deklamieren und BUKOWSKI und Konsorten, sehe mich Aktenfälle historischer Trinkentgleisungen in Masse herbeischleppen und denke: Wer möchte sich solch fein ziselierter Argumentationskette entgegenstellen? Meine Frau. Bei mir klappt es doch auch! Gut. Dann stellen wir uns der Frage ernsthaft. Warum trinken Narren? 1. Sicherheit geht vor Man kann auch ohne Alkohol lustig sein. Abr heit gang i uff Nummer sichr! Dieser Ausspruch, welchen die Historiker gesichert einem Mann namens Määle aus meiner Heimatfasnetsgemeinde zuschreiben, könnte die Losung für uns alle abgeben. Alkohol macht die Zunge zuerst leicht, dann lahm. Die Zunge ist des Narren Hauptorgan. Leicht, schnell, frech, spitzig, spritzig, witzig muss sie sein. Darum ist es hohe Kunst fastnächtlichen Trinkens, sich immer in den grünen Bereich der euphorisierenden Wirkung zu pegeln und ja nie ins Rot des Schlafmittels zu stürzen. Der Strom muss immer beflügeln, nie darf er die Bewegung oder das Bewusstsein hemmen, das Öl am Hut darf nie überlaufen. Wenn wir trinken, so trinken wir als Narren und nicht als Idioten. Nichts hat das mit ballermännischen Ernährungssitten zu tun. Feiern – Party machen – die neudeutschen Vokabeln, die den zielsicheren Komatrunk zu Beginn des 21. Jahrhunderts bezeichnen und die in der deutschen Sprache ausnahmslos gegrölt vorkommen – sie sagen mir nichts. Feiern – was denn? Fasnet feiern? Wie einen Kindergeburtstag? Und entweder ist Party oder nicht, wieso dann machen? 2. Verstand, Vernunft und Verlust Halten wir fest: Unser Trinken steht im Dienste unseres Narr-Seins. Der Stoff hebt die Lustigkeit inklusive Witzigkeit und, was hinzutritt, er senkt auch noch die Hemmungen. Was wiederum die Bereitschaft zur Unvernunft fördert. Alles an uns, alles Denken, alles Tun ist rasende Unvernunft, per se, a priori – und gezielt. Die Löterei zieht viel an Vernunft ab. Beispiel: Alkohol durch einen Strohhalm eingeführt, gilt als grobe Fahrlässigkeit, weil es über die Maßen besoffen macht. Die Maschker, die durch den Larvenmund mit einem Röhrle Alkoholisches saugt, ist Ritual. Seit Generationen. Mit Limonade? Harmlos. Sogar die Wort- und Begriffsgeschichte gibt uns Recht. Rausch für Trunkenheit leitet sich seit dem 16. Jahrhundert vom mittelhochdeutschen Wort rusch her – Rauschen, Ungestüm. Das Verb ruschen malt in Lauten – krachen, sausen, schwirren. Genau. Rauschen und krachen muss es, pfuzgen muss es, brodeln muss es, und wenn’s nicht weh tut am End’, dann war es für die Katz’. Wir stürzen uns gemeinsam ins Ungewisse. Wissen zu wollen, wie der Tag endet, ist kontraproduktiv. Trinksprüche und laute Lieder, Witze und schallendes Gelächter, Geschrei und verstellte Stimmen, himmlische Gerüche und höllischer Gestank – allesallesalles macht unseren Rausch, alles macht uns rauschen. Alkohol ist Bestandteil dieses universalen Totaltheaters, aber für den Rausch ist er durchaus nicht elementar. Jeder kennt das: Aufsagen ist eine Droge; man kann sich tatsächlich in einen Rausch hineinschwätzen. Das eigene Xschwätz als Ekstasetechnik. Da ist meine Frau zu Hause. 3. Kleines Brevier für das närrische Trinken Der hier umrissene Umgang mit Alkohol will wohl gelernt sein. Mein närrisches Umfeld hat im Laufe der Jahre ein Schatzkästlein an guten Ratschlägen erarbeitet und im Selbstversuch empirisch verifiziert. Nachstehend übergebe ich das Regelwerk der Öffentlichkeit zur geflissentlichen Prüfung. Dies Kompendium vermag den Narr im Normalfall zu schützen; Unabwägbares, das sich schon mal zum reinen Mysterium auswachsen kann, muss beständig mitbedacht werden. Ein und dasselbe Getränk kann einen etwa je nach Situation ganz unterschiedlich an den Ranzen hauen. In diesem Sinne umrankt den 1sten Rausch der Fasnet bei uns eine seltsame Theorie. 1ster Rausch meint den am Schmotzige, wir setzen als Holzmächer getarnt einen Narrenbaum und ziehen anschließend mit einem Vesper im Rucksack ausgestattet von Lokal zu Lokal. Überall wird gevespert, dazu verleiben wir uns heimisches Bier ein. Der Katzenjammer anderntags, so nun die verbreitete Ansicht, rühre daher, weil jedes Wirtshaus das Bier einer anderen Brauerei feil habe und wir diese Biere quasi unter Zwang durcheinander zu uns nehmen, was normalerweise niemals gut geht, und da müsse sich ja keiner mehr wundern. Aus der Distanz betrachtet ist diese Theorie haltlos, denn das Trinkverhalten wandelt sich die ganze Fastnacht hindurch nicht, oder aber sie muss von einer weiteren Theorie flankiert werden: Der Katzenjammer in den folgenden Fastnachtstagen bleibt aus, weil die Bauchorgane in exponentiellem Maße abstumpfen und derart feine Differenzen, wie die zwischen einzelnen Brauereirezepturen, wahrzunehmen außer Stande sind. |
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