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In den Kirchen regieren die Narren versteckt Mittelalterliches Chorgestühl als Spiegel der Torheit von Günter Schenk Nonnen tanzen, Mönche lesen die Bibel. Bären und Katzen, Affen und Schweine drängen sich zwischen Aposteln und Kirchenvätern. Propheten und Heilige schauen auf Toren und Teufel, die ihnen frech die Zunge zeigen. Monster und Fabelwesen zwischen alttestamentlichen Helden, groteske Fratzen neben frommen Gesichtern. Nichts spiegelt die mittelalterliche Welt besser als die alten Chorgestühle, in deren Gebälk die Narren ihren festen Platz haben.
Die Qualen der Verderbnis, die Furcht vor dem Beelzebub, so verraten die Holzfiguren, bewegten die Menschen damals mehr als die Sehnsucht nach dem Paradies. In zahllosen Tiergestalten, Monstern und Fratzen erscheint der Teufel in den Chorgestühlen – vor allem aber auch sein wichtigster Helfer, der Narr. Die Kappe mit den Eselsohren weist ihn für jeden sichtbar als Toren aus, als Sünder im mittelalterlichen Verständnis. Im Kölner Dom und Ulmer Münster, in den großen Kirchen zu Basel und Nürnberg, in großen Metropolen und kleinen Dörfern zeigt sich der Narr im Chorgestühl. Von den Niederlanden bis Spanien, von Skandinavien bis Italien, im deutschen Osten und Westen verweisen die Toren auf die Schwächen des Menschen. Als Marionetten des Satans, wie sie Albrecht Dürer in Sebastian Brants Buch „Das Narrenschiff“ bildhaft vorgeführt hatte, sollen die Narren den Menschen stets daran erinnern, vom Weg der Tugend nicht abzukommen. Ganz in sich selbst verliebt, spielen sie mit ihren Narrenstäben, wie sie die Zeremonienmeister im rheinischen Karneval noch heute mit sich führen. Denn im mittelalterlichen Verständnis waren die Narren Egoisten, Menschen ohne Nächstenliebe – jener Tugend, die einst den gläubigen Menschen ausmachte. Vor allem flämische Holzbildhauer trugen die Narrenidee durch Europa. Wanderarbeiter, die gut und billig arbeiteten. Ein süffiges Bier, saftiges Fleisch und ein anständiges Bett, verraten alte Rechnungsbücher, genügten ihnen zumeist. Es waren einfache Leute, die unter fachkundiger Anleitung die Chorgestühle schnitzten und dabei eine immer größere Kunstfertigkeit an den Tag legten, die im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert schließlich zu ihrer Blüte fand.
Ihre wichtigste Quelle aber war der „Physiologus“ – ein Buch, das Tiere und Pflanzen mit biblischen Eigenschaften konfrontierte. So steht der Pelikan, der seine Jungen mit seinem Blut nährt, für Christus, der sein Blut für das Heil der Menschen hingegeben hat. Der Elefant erscheint als Symbol der Keuschheit, die Taube als Sinnbild der Unschuld. Das Einhorn schließlich galt als Symbol der Menschwerdung Christi. Daneben erscheinen die bösen Tiere, lebende Laster sozusagen. Der Esel verkörpert Dummheit und Trägheit, Hahn und Bock stehen für Wolllust und Geilheit, das Schwein für Fresssucht und Völlerei, der Pfau für Hochmut und Stolz, die Schlange für den Neid. Nicht immer freilich ist die Symbolsprache sofort verständlich. So kann der Löwe, erscheint er allein, das Gute versinnbildlichen – Kraft und Stärke des Glaubens. Kämpft er dagegen mit Samson, dem alttestamentlichen Helden, steht er für den Teufel. Der Klerus fühlte sich zwischen den Schnitzereien wohl. Schließlich verbrachte er einen Großteil des Tages betend und singend im Chorgestühl. Deshalb finden sich auch die Mönche dort besonders häufig verewigt, selten allerdings andächtig, stattdessen grinsend und lachend, tanzend oder musizierend. Hier hat der Volkshumor Gestalt gefunden, haben die Schnitzer ihrem Herzen Luft gemacht. Unter den Sitzen des Klerus, die nur während der Messen und Andachten heruntergeklappt wurden, versteckten die Bildhauer die lustigsten und frivolsten Szenen. „Drolerien“ nennt die Kunstgeschichte diese hölzernen Karikaturen. Im Chorgestühl gewann die Narrheit des Mittelalters Gestalt, die an den Tagen vor Aschermittwoch auf den Straßen und Plätzen der Städte für jeden sichtbar war. Den Klerikern des Mittelalters, die sich beim Singen der Psalmen auf den Misericordien abstützten, führten sie ständig eine sündige Welt vor Augen, die im Narren personifiziert war. Mit der Sanduhr in der Hand verwies er auf die Vergänglichkeit alles Irdischen. Kein Wunder, dass sich neben dem Narren auch der Tod zeigt. Alles Irdische ist nichtig und eitel, heißt seine Botschaft, die im Chorgestühl bis heute überlebt hat. Doch während Tod und Teufel als Sendboten der Hölle ohne Hoffnung sind, hat der Narr im Verständnis des gläubigen Menschen die Chance zur Umkehr. Spätestens am Aschermittwoch kann er die Narrenrolle ablegen und auf den christlichen Pfad der Tugend zurückkehren. Grob betrachtet ist dies die Botschaft, welche die Bildschnitzer unter den Klappsitzen des Klerus kunstvoll versteckten. Eine Botschaft, die den übrigen Kirchgängern allerdings verwehrt war, die keinen Zugang zum Chorgestühl hatten. |
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