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Narrenschiff
Die Welt der wilden Masken

Peter Haller

Es ist Fasnet, Schmotziger Dunschtig, Hochstimmung in Konstanz, eine Stadt im närrischen Taumel, bunt verkleidete Mäschgerle soweit das Auge reicht, Fantasiekostüme, liebliche Masken, hässliche Fratzen, farbiges Narrenvolk, ausgelassen, überschwänglich, närrischer Ausnahmezustand. Da, mitten im Getümmel, ein, zwei, vier, fünf Masken, wie von einer anderen Welt, wie Inseln, umbrandet von überschäumender Narretei ... das Auge lässt nicht mehr von ihnen, wie magisch ziehen sie an, ihre Ruhe, ihre Ausstrahlung, ihre Anmut, ihre Andersartigkeit, ein venezianisch angehauchtes Faszinosum, geheimnisumwoben, anonym, in den Bann ziehend ... freie, „wilde“ Masken von einer ganz besonderen Art, nichts Uniformes, vielfältig, detailreich, harmonisch arrangiert, ein Wohlgenuss für das Auge, das in diesen Tagen so vielerlei Eindrücken ausgesetzt ist ...

Zwei Tage später, es ist Samstagabend, der Hänselejuck in Überlingen treibt auf der Hofstatt seinem grandiosen Finale entgegen ... und da sind sie wieder, fast unbemerkt von ihrer Umgebung, im Hintergrund, etwas abseits des Geschehens, in vornehmer Zurückhaltung, sie werden erst später in den Blickpunkt rücken, wenn das Spektakel in allgemeines Narrentreiben übergegangen ist, dann fallen sie wieder ins Auge, wohltuend, geheimnisvoll, facettenreich, beeindruckend, ohne sich hervortun zu wollen, sie sind einfach da und lassen die Ausstrahlung ihrer Masken wirken ... wer sich soviel Mühe macht und soviel Kreativität einsetzt, so denkt der Betrachter, der muss eine besondere Liebe zur Fasnacht, zur Vermummung haben, nichts Aufgesetztes, nichts Künstliches, unaufdringlich, nur aus sich heraus wirkend ... gelebte Fasnacht, Akteur und Zuschauer genießen gleichermaßen dieses Wechselspiel ohne Worte. Am Montag in Villingen werden wir uns wieder sehen ... und mehr erfahren über das geheimnisvolle „Narrenschiff“...


Innenansichten:
... venezianisch angehauchtes Faszinosum ... Für Außenstehende mag das auf den ersten Blick richtig sein, wir verstehen uns jedoch ganz im Kontext der schwäbisch-alemannischen Fasnet, wenngleich durchaus von Venedig beeinflusst, wie es ja unsere Fasnet ebenfalls ist. Bestes Beispiel sind die Weißnarren mit ihren Barocklarven.
Von einer spontanen Idee ausgehend, die uns vor ca. 15 Jahren nach einem Besuch in der Lagunenstadt gekommen ist, haben wir immer mehr zu den Wurzeln und Ursprüngen unserer heimischen Fasnet zurückgefunden. Wir verwenden traditionelle Materialien, tragen u. a. Blätzlehäser und in der zurückliegenden Fasnet auch erstmals ein mit Ölfarben bemaltes „Weißnarrenhäs“. Zurück zu den Ursprüngen der Fasnet heißt für uns jedoch auch, dass jeder und jede zu seinem, zu ihrem eigenen Ursprung, zum inneren Kern zurückfinden sollte. So hat Fasnet für uns den Charakter eines Psychodramas angenommen. Hinter der Maske findet ein Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst statt. Je nach eigener Stimmung, die die Wahl der Maske beeinflusst, sind es immer wieder andere Aspekte, die ausgelebt werden. Und diese Prozesse zeigen sich auch in der Interaktion mit dem Publikum, das uns spiegelt (den Narrenspiegel vorhält). Hinter der Maske gehen wir dann mit dem Gespiegelten um. Dieser Prozess kann im Wassermannzeitalter nur im individuellen „Fasnet-Sein“ gelebt werden und nicht in der „Uniformität“ einer traditionellen Zunft, basierend auf der Tradition (Formen und Materialien), jedoch transformiert in eine zeitgenössische Form. Ganz wichtig ist für uns, dass die Fasnet gewaltfrei bleibt. Innerhalb der Gruppe sind alle gleichberechtigt und können ihre eigenen Gedanken, Ideen und kreativen Potenziale umsetzen. Natürlich immer mit Hilfe der anderen, soweit dies notwendig und gewünscht ist.
Und so fährt sie dahin, die kleine freie Narrengruppe, die sich „Narrenschiff“ nennt, inmitten eines Meeres Tausender organisierter Narren, von denen sicherlich so mancher nicht ganz ohne Neid auf das „Narrenschiff“ hinüberschaut, das unbefangen einen ganz eigenen Kurs in der schwäbisch-alemannischen Fasnet steuert, einen Kurs, der Individualität vor Uniformität stellt, auf einem Schiff, auf dem das Fähnlein der Narrenfreiheit noch hochgehalten wird.


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