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„Sausoach“ und Lindenholzduft Bei Schmidbergers in Schömberg beherrscht die Fasnet das ganze Jahr von Wulf Wager Das einzige Familienmitglied, das mit den vielen Fasnetsutensilien im Haus und mit den vielen Besuchern, die tagein, tagaus bei Schmidbergers auftauchen, wenig anfangen kann, ist der wohlbeleibte Schäferhundmischling Pedro. Mit lautstarkem Bellen empfängt er Ankommende und versucht sie zu vertreiben. Doch wer den Weg ins schmucke Haus der Familie Schmidberger am Ortsrand des Städtchens Schömberg gefunden hat, kommt gezielt und lässt sich von solchen Attacken nicht abschrecken. Wer kommt, braucht etwas, um an der Schömberger Fasnet teilnehmen zu können. Denn Edeltraud und Rudolf Schmidberger bieten alles, was man für ein richtiges Schömberger Narrenkleid braucht – Larven, Zutaten, Know-how, gute Worte ...
Rudolf Schmidberger, der 46-jährige, gelernte Industriemeister für Elektrotechnik, schnitzt in seiner Freizeit feinste Larven. Seine Frau Edeltraud stellt die „Köpfe“ der Schömberger Fransennarren her. Dabei werden die Larven am Hut befestigt, rund 100 „Wollebebbele“, drei Hahnenfedernsträuße und die Larvenhaube angebracht. Die Technik dazu ist ein Geheimnis. Gelernt hat Edeltraud das von ihren Schwiegereltern, die in den 1950er Jahren die ersten Narrenkleider machten. Auch Rudolf hat von seinen Eltern die Fasnet und das Herstellen der Narrenkleider vermittelt bekommen. Noch in den 1960er Jahren gab es nur drei Leute in Schömberg, die die Technik des Fransenwebens beherrschten. „Dr Sausoach, des isch a Saug’schäft“, berichtet Rudolf, den man in Schömberg nur „Rudl“ nennt, augenzwinkernd. „Dr Sausoach“, das sind die von Hand in einer ganz speziellen Technik gewebten Wollfransen, von denen man etwa 50 bis 60 Meter für einen Fransennarren braucht. Drei bis vier Meter schafft der geübte Rudolf in einer Stunde, aber „bei vier Meter, do muesch dua wie en Wahnsinnige!“. Damit die Spannfäden die Haut nicht blutig reiben, klebt sich Schmidberger ein Pflaster auf den Zeigefinger. Zwanzig Stunden muss er weben, um die zweieinhalb Kilo Wolle für einen Narren zu verarbeiten. Aber das ist noch nicht alles. Weitere fünfzig Stunden braucht man, um die Wollfransen auf den Samt- oder Leinenanzug zu nähen, und noch mal fünfzehn um die Fransen zu „stutzen“, also um sie in Form zu bringen. Auch die jüngere Tochter Ines beteiligt sich am vorfastnächtlichen Geschehen. Sie ist für die „Wollebebbel“ zuständig, die sowohl den Hut als auch die Enden der Larvenhaube und des Häskittels zieren. Wenn sie neben dem Fernsehen fleißig ist, schafft sie zehn in einer Stunde. Pedro liegt ihr dann zu Füßen und genießt die Wärme der jungen Mädchenbeine. Er ist längst daran gewöhnt, dass nach den Sommerferien Abend für Abend in Wohnzimmer und Küche geschafft wird. Vater Rudolf webt, Mutter Edeltraud macht Narrenköpfe und Ines stellt die „Wollebebbel“ her.
Konspirative Treffen sorgen für Stoff Heute webt Rudolf nicht mehr so viel. Aber wer bei Schmidbergers, die am Schömberger Marktplatz ein Ladengeschäft für Oberbekleidung und Fasnetsutensilien betreiben – das „Narrenstüble“, die Zutaten zur Herstellung eines Fransennarren kauft, der bekommt sozusagen als Serviceleistung einen Crashkurs im Fransenweben in Schmidbergers Küche. Bei diesen kommunikativen Treffen erfährt man viel vom Ortsgeschehen. Das ist für Rudolf besonders wichtig, denn an der Fasnet geht er regelmäßig zum „Maschgere“. Und um anderen Schömbergern „welschen“ zu können, muss er natürlich genügend „Stoff“ haben.
Als Schmidbergers das erste Narrenkleid hergestellt hatten, haben sich die beiden gesagt: „Des machet mir nie meh!“ Doch die Liebe zur Fasnet obsiegte. Weil sie sich aber alle Zutaten aus verschiedenen Quellen aufwändig besorgen mussten, haben sie beschlossen, im Nebenerwerb einen Handel mit diesen Dingen aufzumachen und alles aus einer Hand anzubieten. Die Frage nach der Motivation beantwortet Edeltraud lapidar: „Reich wirsch do drbei net!“ Und dann beginnt sie von ihrer Arbeit an den Narrenköpfen zu erzählen und gerät ins Schwärmen. Jeder Kopf sei für sie wie ein Kind. Das definiert das Engagement wohl ausreichend.
Schnitt für Schnitt formt sich ein feines Gesicht Anfang der 1990er Jahre besuchte Rudolf Schmidberger einen Schnitzkurs bei der Volkshochschule und begann Masken zu schnitzen. Seine Kunst hat er bis heute elegant verfeinert. Über seine ersten Larven schmunzelt er. Sie waren seiner Meinung nach zu steif, zu statisch und hatten zu wenig Ausdruck. Lehrgeld bezahlt hat er auch, als er eine falsche Grundierung benutzte, die durch die feuchte Atemluft beim Tragen der Larven aufquoll und die „Fassung“ zum Platzen brachte. Damals hätte er „brilla“ können, als ihm eine Larve nach der andern beim „Bolanes“, dem traditionellen Narrentanz der Schömberger, entgegen kam und Risse aufwies. Alle hat er noch mal abgeschliffen und neu gefasst. Doch durch Schaden wird man klug und Rudolf Schmidberger hat seine Technik verfeinert und verbessert. Heute versteht er es meisterlich, karton-, ja fast papierdünne Larven zu schnitzen, die gerade mal 200 Gramm wiegen und eine Randstärke von zweieinhalb bis drei Millimetern aufweisen. Da muss man schon höllisch aufpassen, dass man nicht aus Versehen durchschnitzt. Die eine oder andere halbfertige Larve wanderte deshalb in den Ofen. Schmidberger arbeitet rund 15 bis 20 Stunden an einer Larve, die er auch selbst kunstvoll „fasst“, also bemalt. Das macht er in verschiedenen Techniken. Die älteste ist das „Stupfen“. Dabei wird die Farbe ganz vorsichtig mit dem Pinsel in einer Nass-in-Nass-Technik aufgetupft. Wenn jemand ganz feine Farbverläufe an den Wangen haben möchte, dann benützt er schon mal die Airbrushpistole. Auch das Verreiben der Farben mit einem Lappen ist eine in Schömberg gebräuchliche Technik zum Fassen der Lindenholzlarven.
Betritt man die Werkstatt, so umfängt einen sofort der lieblich-warme Duft des Lindenholzes, der mit einer ganz feinen Spur von Farbgeruch durchsetzt ist. Da auch Decke und Wände mit Holz verkleidet sind, empfindet man ein wohlige Gefühl wie beim Betreten einer Sauna, nur bleibt es angenehm kühl. Wenn der Hobbybildhauer von der Arbeit nach Hause kommt, begibt er sich meist sofort in die Werkstatt, in der er über einer Arbeit schon mal die Zeit vergisst. Längst schnitzt er auch für auswärtige Fastnachten. So entstehen aus der Hand Rudolf Schmidbergers auch Oberndorfer Narros, Böhringer Hexen und Rottweiler Larven.
Masken neben dem Christbaum Im September beginnt die Hauptsaison, dann bleibt kaum mehr Zeit für anderes. Je näher es auf Weihnachten zugeht, desto voller hängen Wohnung und Werkstatt mit fertigen und halbfertigen Narrenköpfen. Ein ungewöhnlicher Eindruck ist das schon, wenn neben dem Christbaum Fastnachtsmasken liegen. Die beiden wissen, dass nun bald die Zeit kommt, sich von den Schönheiten zu trennen. Das fällt ihnen schon schwer. Edeltraud beschreibt es wie einen Abschied. Doch wenn sie weiß, dass das Narrenkleid oder der Narrenkopf an einen „richtigen“ Narren gerät, freut sie sich sehr. Andererseits – wenn ein junger Mensch, nur weil es „in“ ist und weil seine Eltern es sich leisten können, ein Narrenkleid bekommt und es dann nicht achtet, dann wird sie fuchsteufelswild. Sie erzählt die Geschichte von dem jungen Schömberger, der sein „Kloadle“ bei einem Narrentreffen zum ersten Mal trug. Edeltraud war dabei und sah, wie der Narr sturzbesoffen gegen eine völlig verdreckte Festzeltwand fiel. Damals war sie so erbost, weil das Häs natürlich ganz versaut war, dass sie den jungen Kerl aufgefordert hat, das Häs auszuziehen. So viel Missachtung von rund 150 Stunden Handarbeit, die in einem Schömberger Fransennarr stecken, ging ihr dann doch zu weit.
Es ist spät geworden bei meinem Besuch im Narrenhaus der Familie Schmidberger. Bevor Pedro mich zur Tür begleitet, möchte ich noch wissen, was denn das Schönste an der Fasnet sei. Edeltraud Schmidbergers Augen verklären sich. Die Antwort kommt schnell und sicher. Es sei der Fasnetsmontag. Der Narrensprung um 8.11 Uhr und vor allem das anschließende Narrenlied. Dieses ehrwürdige, anrührende Gefühl, das einen dabei überkommt, sei mit Worten kaum zu beschreiben, sagt sie. Noch nie in dreißig Jahren habe sie das verpasst, und wenn es Sonntagnacht noch so spät geworden ist. Doch dann fällt ihr ein, dass sie ein einziges Mal auf den Narrensprung verzichten musste, als Tochter Ines noch klein war und hohes Fieber hatte. Wohl oder übel musste Edeltraud zu Hause bleiben. Sie öffnete damals das Küchenfenster und als die Musik den Narrenmarsch zu spielen begann, heulte sie Rotz und Wasser. |
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