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Aha-Erlebnisse
Fasnet in Bad Waldsee

Monika Bönisch

Zwei große Männer, nicht mehr ganz jung und der Sprache nach Nordlichter, stehen vor dem Rathaus in Bad Waldsee und warten, dass der große Narrensprung endlich beginnt. Sagt der eine grinsend zum andern: „Und weißt du, wie denen ihr Fastnachtsruf ist? Du glaubst es nicht: Aha!“

Wenn die beiden wüssten, welche Freuden dieses Aha mit sich bringen kann! Aber davon können die beiden Gäste natürlich nichts ahnen. Der Schunkelwalzer, in dem das Aha vertont ist und mit dem die neue Fasnachtssaison am 11.11. beim Federles-Brunnen stets begrüßt wird, fordert unverhohlen zur kollektiven Küsserei auf:



In Waldsee zur Fasnet wird eingehängt, aha, aha, aha!
Da wir jedes Mädel herumgeschwenkt, aha, aha, aha!
Man schunkelt, man schunkelt in wiegenden Reihn, aha, aha, aha!
Und wer niemand findet, der schunkelt allein, aha, aha, aha!
Einmal hin, einmal her,
einmal kreuz, einmal quer,
und zum Schluss einen Kuss,
ach Kinder, die Fasnet ist schön!

Der Waldseer Pfarrer Richard Schitterer legt das Aha übrigens streng katholisch aus:
A steht für das Amen.
Dies tut das H einrahmen.
H steht für Halleluja,
dann folgt darauf das zweite A.
Amen, Halleluja, Amen!
Das sind uns hier bekannte Namen.
So mitten in der Fasnetzeit
bekennen wir die Christlichkeit.



Die Faselhannes bestechen mit einem fein bestickten Narrenkleid. Viele hundert Stunden Arbeit stecken in den wertvollen Häsern.
Diese Lesart steht dem Geistlichen natürlich zu – hält er doch alljährlich in der proppenvollen Waldseer Kirche St. Peter die Narrenmesse.

Während der Pfarrer in der Fasnet Herr oder zumindest Verwalter des Gotteshauses bleibt und von der Kanzel aufs närrische Volk herunterpredigen kann, weht etlichen anderen Honoratioren der Wind kräftig ins Gesicht: Bevor nämlich die Fasnet überhaupt richtig beginnen kann, müssen die Machtverhältnisse in der ehemals vorderösterreichischen Stadt geklärt werden.

Am Mittwochabend vor der Fasnet sitzen die Gemeinderäte, gekleidet in schwarze Roben mit großen weißen Krägen und mit weißen Perücken auf dem Haupt, um das Tischkarree im großen Sitzungssaal des Rathauses. Sie wissen, dass ihre und des Bürgermeisters Entmachtung droht. Freiwillig wollen sie die Plätze nicht räumen. Der Bürgermeister, den Realitäten ins Auge blickend, appelliert an ihre Vernunft – und sie lenken ein. Unter den Augen zahlreicher Zeugen, der Zuschauer, strömen nun Nachtwächter, Büttel, Trommler und Zunfträte in den Saal. „Wir werden Narrenrecht und Narrenfreiheit wohl zu nutzen und die närrischen Geschicke gut zu lenken wissen“, versichert Zunftmeister Franz Daiber. Dem Bürgermeister wird als Zeichen seiner Entmachtung ein Strohhut aufgesetzt. Zusammen mit der Prominenz – 2005 war der heutige Ministerpräsident Günther Oettinger zu Gast – geht es dann weiter zum Narrengericht in den Grünen Baum.

Die Waldseer Hästräger scharren derweilen schon ungeduldig mit den Füßen. Endlich schlägt’s zwölf Mal – Mitternacht. In der Mitte des Rathausplatzes lodert ein großes Feuer. Nach und nach erscheinen geheimnisvolle Gestalten mit Holzmasken, roten Hauben und langen grünen Röcken. Sie spitzen ihre Besenstiele an und ein wilder Tanz ums Feuer zu dumpfen Trommelschlägen beginnt, der Schrättelestanz. Die Schrättele toben sich aus – bis Narro und Faselhannes auftauchen und dem Spuk ein Ende bereiten.


In Waldsee spielt die Musik nicht nur beim Sammlervölkle. Alle Fotos: Roland Rasemann


Ganz in den Händen der Narren ist Waldsee damit noch nicht. Am nächsten Morgen warten die Schüler auf die Schulstürmung und die Befreiung von einer Last – den Lehrern. Kanoniere und Garde leisten gute Arbeit, die Pädagogen werden gefesselt abgeführt und ins Gasthaus verfrachtet. Leiden müssen sie dort kaum.

Auf dem Platz bei der Kirche ragen inzwischen kleinste bis größere Hände zum Himmel, um an einem Wunder teilzuhaben: Während die Kinder laut ihre Narrensprüche schreien, regnet es aus dem Albrechtschen Haus Wurst, Wecken und Brezeln. Der Waldseer Wachszieher und Narr Alois Albrecht und seine Frau bescherten im 19. Jahrhundert den Kindern den Wächsebrauch: Alljährlich finanzierten sie den Wurst-und-Wecken-Regen. Als Albrecht 1910 starb, drohte der Brauch zu verschwinden. So machten sich Mitglieder des Narrenvereins auf und sammelten Geld und Naturalien zur Freude des Narrensamens – und das bis heute. Im 21. Jahrhundert gleitet das Sammlervölkle nicht mehr auf Pferdeschlitten zu den Bauernhöfen; heute sitzen die Sammler und Sammlerinnen am Dienstag vor der Fasnacht bunt verkleidet, mit atemberaubenden Kopfbedeckungen, Körben und Musikinstrumenten ausgerüstet auf der Ladefläche eines Lkw und rumpeln lautstark von Hof zu Hof. Sie geben hier ein Ständchen, machen dort ein Tänzchen und werden von den gastfreundlichen Bauersleuten mit Süßem und Saurem, Salzigem und Fischigem, mit Nieder- und Hochprozentigem gestärkt – schließlich sollen sie den Tag gut überstehen ... Und dann sammeln sie, damit der Narrennachwuchs beim Wächsebrauch nicht in die Röhre, in den leeren Himmel gucken muss.

Mit Schulstürmung, Wächsebrauch und Narrenbaumsetzen scheint der Gumpige Dunstig für die Waldseer Narren noch nicht genügend ausgefüllt zu sein: Beim Umzug am Nachmittag präsentieren sich Fanfarenzug und Gugga-Musik, Mäschkerle und Prinzengruppe, Nachtwächter und Brezgabuaba sowie allerhand fantasievoll gekleidetes närrisches Volk. Auch die Klassiker haben jetzt ihren Auftritt: Einzelfiguren wie Hahn und Henne, die seit 1890 agieren, und Werners Esel, der nach Art der Strohbären mit zwei Treibern durch die Straßen zieht. Und die Traditionsfiguren der Waldseer Fasnet: das Federle, ein Jäger mit grünem Umhang und Federn am Hut, schick, aber von zweifelhaftem Charakter; er verführt die jungen Frauen; seine Gestalt soll auf die Hexenprozesse zurückgehen. Federle brauchen eine gute Kondition – denn sie springen mit einem langen Stock fast wie Stabhochspringer. Die Gewänder der beiden Weißnarrenfiguren, Narro und Faselhannes, schmücken gestickte oder gemalte Ranken und Blumen. Der fröhliche Narro mit bunten Straußenfedern auf dem Kopf erfreut – mehr oder weniger – die Zuschauer am Straßenrand mit Bonbons oder Narrenwurst. Faselhannes, an dessen Maske zwei Fuchsschwänze baumeln und dessen Geschell einen beachtlichen Lärm verursacht, faselt, sagt den Leuten Sprüche auf und hält ihnen den Narrenspiegel vor.

Das Schorrenweible entstand, als einem Maskenschnitzer wohl einmal das Schnitzmesser ausrutschte und eine Hexenmaske danebenging. Aus der Not wurde eine Tugend gemacht; seitdem treten bei der Fasnet alljährlich die alten Waldweibchen mit Lodenumhang, Stockschirm, mit Reisig und Tannenzapfen verziertem Kopftuch auf, und ganz wichtig: mit Körben, aus denen sie die Zuschauer mit Schnäpschen versorgen.


Federle und Schrättele bevölkern mit Narro und Faselhannes das oberschwäbische Städtchen zu tausenden.


Na, hon di die Hexe, die Schrättele, no net mitg’nomme? Muss i no e Johr warte?“, sagt am Straßenrand ein Mann zu seiner Frau, als er vom Glühweinstand zurückkommt. Sehr charmant. Die Gattin überhört’s und schweigt. Die Waldseer Hexen zeigen indes, was sie können: Flugs springen drei der rot-weiß Bestrumpften auf die Schultern des Fundaments aus vier Schrättele, zwei kraxeln obenauf; gekrönt wird das Ganze von einer weiteren, besenschwingenden „Rothaube“: fertig ist die Pyramide fürs Erinnerungsfoto.

Das zwiespältige Wesen des Schrättele unterstreicht die unterschiedliche Mimik der Gesichtshälften, eine Seite freundlich, die andere grimmig – eine Narrenfigur, die so beliebt ist, dass die Zunft beschloss, ihre ausufernde Zahl zu begrenzen.

Manfred Geiselmann, der seit 46 Jahren an Fasnacht unter der Maske des Faselhannes steckt, kennt sich aus: „Anders als beim Schrättele gibt es beim Federle eher Nachwuchsprobleme.“ Was man sofort glaubt. Denn der Träger eines Federle-Häses sollte groß und schlank sein und eben gut mit dem Stock springen können. Außerdem wirkt die Figur, die das Böse, den als Jäger verkleideten Teufel verkörpert – nicht gerade als Sympathieträger. Insgesamt sind von der Narrenzunft Bad Waldsee etwa 2300 Masken zugelassen.


Aha erschallts auch aus der rauen Kehle des Zunftmeisters


Für manche ist die Fasnet nach dem Umzug am Gumpigen schon fast vorbei, schreibt Thomas Fricker in Hallo Leut, etz isch Fasnet, dem Buch über die Waldseer Fasnacht. Obwohl noch Bälle, Wirtshausaufenthalte, Besuche in benachbarten Narrenorten, Kinderball und ein weiterer Umzug am Fasnetsmontig folgen. Dienstagnacht geht’s dann wirklich ans Abschiednehmen: Die Fasnet ist verschieden und die Narren haben die traurige Pflicht, sie in Gestalt einer Puppe im Schlossbach zu versenken. Auf dem Weg dorthin zieht der Trauerzug an vielen Gasthäusern vorbei und vor jedem fragt der Fasnets-Pfarr besorgt: „Sind’r au scho im Bära (im Kreuz, im Grünen Baum ...) gwea?“, worauf die Gemeinde jammert: „Überall, bloß do noit.“ Doch da hilft kein Klagen und keine Verzögerungstaktik, die Fasnet ist vorbei und muss begraben werden. So versinkt sie schließlich im Bach – ... und zum Schluss einen Kuss und im nächsten Jahr dann wieder: „Ahaaa!“

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