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Die Identität des Narren von Peter Haller Gibt es denn eine Identität des Narren? Diese Frage ist wohl eindeutig mit „nein“ zu beantworten, denn die Identität des Narren ist so vielgestaltig wie die Verkleidung und die Befindlichkeiten der Menschen, die sich an der Fasnacht in das närrische Treiben stürzen. Narr ist eben nicht gleich Narr. Do gibt's halt au sodde und sodde, könnte man auf gut Schwäbisch sagen. Ja, „narret sein“ kann man auf die eine oder andere oder noch ganz andere Art und Weise, wobei hier Art sowohl etwas mit Eigenart als auch mit Lebensart zu tun haben kann. Und so stellt sich zunächst die Frage, was einen Narren ausmacht bzw. was einen zum Narren macht. Narren sind wir doch eigentlich alle, so mag man denn einwenden, und das ganzjährig, mit all unseren Marotten, Launen, Zwängen, Begehrlichkeiten und Eitelkeiten, und befinden uns dabei, welch Glück (!), doch stets in bester Gesellschaft, denn Narrheit sät sich offenbar immer wieder von selber aus und fällt meist auf fruchtbaren Boden. Ja, selbst die Talkshow „Menschen bei Maischberger“ vom 8.11.2005 hatte zum Thema: „Berliner Republik – Ein Käfig voller Narren?“ Ein Narr, wer Arges dabei denkt! Ohne hier auf die Ursprünge dieser nicht immer nur lustigen, komischen, sondern bisweilen durchaus auch tragischen, geplagten, mit allen menschlichen Lastern behafteten und offenbar doch stets aktuellen Gestalt eingehen zu wollen: klar, im Zusammenhang mit der Fasnacht ist ein „Narr“ jemand, der sich verkleidet oder vermummt, jemand der vorübergehend in eine andere Rolle schlüpft, der mehr oder weniger „aus dem Rahmen fällt“, „verrückt“ tut, mitunter auch eine ganz andere Identität annimmt, in der er nicht mehr als der Mensch zu erkennen ist, den man aus dem Alltag kennt, sei es durch vollständige Vermummung, sei es durch sein absonderlich schräges Verhalten in einer „verkehrten Welt“. Wer sich nur verkleidet, aber als Person erkennbar bleibt, zeigt an Fasnacht ganz deutlich: Ja, so kann ich auch sein, ganz anders, als ihr mich sonst kennt, wenigstens einmal im Jahr wage ich es, diese andere Seite von mir zu zeigen. Dieser offenherzige Narr gibt dabei seine Identität in Wirklichkeit nicht auf, sondern zeigt lediglich andere Seiten seiner Identität, die ebenso Bestandteil derselben sind, wenngleich sie die meiste Zeit des Jahres als Gefangene seiner Zwänge im Verborgenen zu ruhen verurteilt sind und sehnsüchtig darauf warten, dass sie wenigstens einmal im Jahr ausgelebt, der „Normalität“ entrückt werden. Die Verkleidung dient hier weniger dem Wunsch, sich wirklich in einen Seeräuber oder Clown zu verwandeln, sondern vielmehr als demonstrativ zur Schau getragenes Zeichen dafür, dass man für einige Stunden dem Alltag entfliehen und eben diese anderen „verrückten“ Seiten ausleben möchte, ohne dass dies den anderen Fasnachtsnarren oder Zuschauern unbedingt verborgen bleiben soll. Nein, im Gegenteil, die anderen sollen „mich ruhig mal kennen lernen“, zumindest die, die genauso viel Spaß daran haben, sich einmal im Jahr anders zu geben, lockerer, unbefangener, offener, kommunikations- und kontaktfreudiger, auch wenn dadurch die Ganzjahresfassade gehörige Risse bekommen mag. Soviel plötzlich erwachte unverblümte Ehrlichkeit ist für so manche Überraschung gut. Eigentlich bin ich ganz anders, Ödön von Horvárth Anders verhält es sich mit dem Narr, der sich vollständig vermummt und damit nur noch als Narr , jedoch nicht mehr als „normaler“ Mensch zu identifizieren ist. Er wird diese vollständige Vermummung in der Regel sehr bewusst wählen, um unerkannt zu bleiben. Die anderen Seiten seiner Identität, seiner Seele, seines Charakters, denen er an Fasnacht mal freien Lauf lassen möchte, sollen die anderen nicht mit ihm als „normaler“ Person im Alltag in Verbindung bringen können. Dadurch wird die Narrenfreiheit mitunter um ein Vielfaches größer, weil es nun gewisser Rücksichten nicht mehr bedarf. Die Grenzen für die Narrenfreiheit bilden jetzt allein gesellschaftliche und gesetzliche Normen und Vorschriften, die auch an Fasnacht nicht außer Kraft gesetzt werden können. Dass der eine oder andere dabei so gehörig über die Stränge schlägt, dass er damit gegen diese Normen und Regeln verstösst, ist sicherlich auch während der Fasnacht eher die Ausnahme als die Regel und war wohl eher in früheren Jahrhunderten von Belang, als der Mummenschanz auch in offenes Rebellentum gegen den Regenten ausarten konnte und daher bisweilen strikte Fasnachtsverbote zur Folge hatte. Früher wurde die Anonymität der Maske zudem sehr viel häufiger als heute dazu genutzt, unliebsamen Mitmenschen mal deftig die Meinung zu sagen oder sie gar derb anzugehen. Was jedoch noch vor einigen Jahrzehnten in manchen alten Narrenorten durchaus an „rustikaler“ Narretei gang und gäbe war, würde heute kaum mehr toleriert. Die Fasnacht geht somit heute normalerweise sehr viel friedvoller und „sauberer“ über die Bühne, als dies früher der Fall war. Vor allem in der organisierten Fasnacht unterliegen Häser und närrische Rituale seit Jahrzehnten einer stetig zunehmenden Ästhetisierung und Normierung, die dem in einer Narrenzunft organisierten Narren in seiner Narrenfreiheit nun wieder neue Grenzen auferlegen. Allerdings wird der närrische Zeitgenosse, der ins Zunftnarrenhäs schlüpfen möchte, sich – wenn möglich – einen Narrentyp suchen, der seinem Naturell am ehesten entspricht. Wer sich als Hexe am wohlsten fühlt wird wohl kaum im Weißnarrenhäs narren gehen wollen. Der Narr übernimmt also nicht nur die Identität und das Aktionsspektrum der Narrenfigur, in die er schlüpft, sondern findet in dieser Figur auch wieder teilweise seine eigene Identität, was wiederum zu einer starken Identifizierung mit dieser Narrenfigur führt. Doch diese Wahlfreiheit des Narrentyps ist dadurch wiederum eingeschränkt, dass man am eigenen Wohnort für gewöhnlich nicht das ganze Spektrum an Narrentypen zur Auswahl haben wird und meist nur jüngere Zünfte auch auswärtige Interessierte in ihre Reihen aufnehmen. Man hat's also nicht immer leicht, als Narr seine eigene Identität zu finden!
Im Zunftnarrenhäs mag der Narr, insbesondere beim Umzug, zwar seine das Jahr über verborgenen Seiten ausleben, doch für den Zuschauer ist dies in der Regel nicht fassbar, da der einzelne Narr in der Masse untergeht, insofern löst sich seine Identität für den Zuschauer auf, er ist nur noch einer von vielen, die alle gleich oder sehr ähnlich aussehen und oft sehr ähnliche närrische Handlungen vollziehen, ja, er ist oft nur noch eine Nummer, denn um Verstößen gegen die Zunftregeln vorzubeugen, erhalten die Narren heute in vielen Zünften eine Nummer, mit der sich im Ernstfall die wahre Identität feststellen lässt. Anonymität schützt also vor Strafe nicht! Die Auflösung der Alltags-Identität gilt daher in Wirklichkeit oft nur bedingt, solange der Narr sich eben an die Spielregeln hält. Neben der Anonymität gegenüber dem Zuschauer spielt hier das wiederum identitätsstiftende Gemeinschaftserlebnis für den aktiven Narren heute eine mindestens ebenso bedeutende, wenn nicht gar gewichtigere Rolle. Denn als alljährlich wiederkehrendes, traditionsreiches Fest ist die Fasnacht ein Stück Verlässlichkeit in unserer schnelllebigen Zeit, in unserer gar so verrückten Welt, in der sich immer mehr Menschen verloren fühlen und Halt, ja letztlich auch nach dem eigenen Ich suchen. |
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