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Rentnersache: Fastnacht im Südwest Fernsehen
Die Zuschauer werden mehr und älter Günther Schenk
Trotzdem war man im deutschen Süden mit den Einschaltquoten zufrieden, zogen die Fernsehmacher in München und Baden-Baden eine positive Bilanz. So erzielte das Südwestfernsehen mit seinen närrischen Übertragungen einen Markanteil von 13,2 Prozent, deutlich mehr als in den Vorjahren (2004: 11,4 Prozent). Einschalt- quoten, die man der kurzen Fastnachtszeit verdankte und der Streichung aller Programme, die anno 2004 die Erwartungen nicht erfüllten. Seine guten Zahlen verdankt das Fernsehen vor allem der Saalfastnacht. So verbesserte das Südwestfernsehen mit seinen Übertragungen der fünf klassischen Sitzungen aus Konstanz, Esslingen, Saarbrücken, Mainz und Frankenthal, alle ausgestrahlt in der besten Sendezeit gleich nach der „Tagesschau“, den durchschnittlichen Marktanteil von 16 auf 19 Prozent. Eine Leistungssteigerung, die vor allem den rheinland-pfälzischen Zuschauern zu verdanken ist. Spitzenreiter wie im Vorjahr war der fast viereinhalbstündige Live-Mitschnitt einer Sitzung der Gesellschaft „Bohnebeitel“ aus dem Mainzer Vorort Mombach, die bundesweit 2,03 Millionen Zuschauer verfolgten und in Rheinland-Pfalz 35 Prozent Marktanteil erreichte. Regional noch besser eingeschaltet waren die Übertragungen aus Esslingen („Schwäbische Fasnet aus Esslingen“) und Frankenthal („Badisch-pfälzische Fastnacht aus Frankenthal“), die im Südwesten ebenfalls mehr als eine Million Zuschauer am Bildschirm verfolgten. Zwar konnten auch die Narren am Bodensee mit ihrer Sendung „Konstanzer Fastnacht aus dem Konzil“ in ihrer Region deutlich zulegen, außerhalb Baden-Württembergs aber interessierten sich dafür weit weniger Zuschauer als sonst. Insgesamt finden fremde Zuschauer
Damit wurde ein Trend bestätigt, den die Fernsehforscher seit Jahren beobachten. So steigen die Ein- schaltquoten mit der Nähe der Zuschauer zur Veranstaltung. Genau betrachtet erwiesen sich 2005 in Baden-Württemberg die Sitzungen aus Esslingen (920 000 Zuschauer), Konstanz (840 000 Zuschauer) und Frankenthal (710 000 Zuschauer) als Bestseller. In Rheinland-Pfalz stießen umgekehrt die Sitzungen aus Mainz (420 000 Zuschauer), Frankenthal (400 000 Zuschauer) und Saarbrücken (310 000 Zuschauer) auf das größte Publikumsinteresse. Ähnliches gilt auch für die Narrensprünge. So sahen die Narrentreffen in Lörrach (16. Januar), Laufenburg ( 23.Januar.) und Riedlingen ( 30.Januar) anno 2005 in Baden-Württemberg insgesamt 650 000 Zuschauer, während sich in Rheinland-Pfalz gerade einmal 130.000 Zuschauer für die Vermummten aus dem Süden interessierten. Insgesamt aber finden fremde Zuschauer eher zur Straßenfastnacht Zugang als zum Sitzungskarneval, der gewöhnlich dialektgefärbt ist und vom Betrachter deshalb viel Verständnis verlangt. So bescherte das größte Karnevalsereignis im Saarland, die traditionelle Sitzung „Alleh Hopp“, dem Saarländischen Rundfunk mit 40 Prozent mit die besten Marktanteile des Jahres, doch diesseits der Pfalz interessierte sich dafür kaum noch jemand. Das Gegenteil beweisen die Übertragungen von den schwäbisch-alemannischen Narrentreffen. So verfolgten das diesjährige Meeting in Laufenburg nur 140 000 Baden-Württemberger am Bildschirm, bundesweit aber noch einmal 180.000 Zuschauer mehr. Auch Riedlingen (530 000) und Lörrach (410 000) verhalfen vor allem die Zuschauer außerhalb Baden-Württembergs zu ansehnlichen Quoten. Offensichtlich hat der Mummenschanz für Rheinländer, Norddeutsche und andere Landsmannschaften einen gewissen exotischen Reiz – ganz im Gegensatz zur Sitzungsfastnacht, die beim Betrachter nördlich des Mains schnell an ihre Sprachgrenzen stößt.
Weil die Lebenswelten der Menschen aber längst nicht mehr mit Kriterien wie Alter oder Schulbildung allein zu fassen sind, hat die Wissenschaft in den letzten Jahren so genannte Sinus-Milieus entwickelt, die Zuschauer in soziale Gruppen mit jeweils ähnlichen Befindlichkeiten aufgeteilt. So kann ein 60-Jähriger heute durchaus auf Rockmusik stehen, ein 20-Jähriger umgekehrt auf Volksmusik. Wertorientierungen sind das, ästhetische und konsumorientierte Präferenzen, die einem ständigen gesellschaftlichen Wandel unterliegen. „Sinus A 23“ (Traditionsverwurzelte), „Sinus A12“ (Konservative), „Sinus B2“ (Bürgerliche Mitte) und „Sinus B1“ (Etablierte) heißen die für die Fastnacht relevanten Fernseh-Zielgruppen, vier gesellschaftliche Blöcke aus Unter-, Mittel- und Oberschicht. Größte Sehergruppe sind die „Traditionsverwurzelten“, die das närrische Angebot des SWR überdurchschnittlich nutzen, Tendenz stark steigend. Während ihr Marktanteil 2004 noch bei 15,8 Prozent lag, stellen sie jetzt 20,9 Prozent aller Fastnachtszuschauer. Über 65 Jahre sind die Mitglieder dieser Gruppe in der Regel alt. Leute, die Gartenarbeit, deutsche Schlager und Volksmusik schätzen, stricken, häkeln und gern schneidern. Die statt ins Fitnessstudio oder zum Power-Walking lieber zum Wandern in die Berge und Wälder gehen. Geordnete Verhältnisse sind ihr zentrales Lebensziel. Bescheiden und sparsam treten sie gewöhnlich auf, kaufen nur, was sie brauchen. Großzügig ist die Gruppe dagegen Kindern und Enkeln gegenüber. Sparkonto und Lebensversicherung dienen ihrer zusätzlichen Altersvorsorge, weil sie der staatlichen Rente kaum noch trauen. „Nicht unangenehm auffallen, ja keine Extravaganzen“ beschreiben die Fernsehforscher ihr Leben. Ordnung und Sauberkeit schätzen die „Traditionsverwurzelten“ besonders, was sich in meist blitzblanken Küchen und aufgeräumten Schlafzimmern zeigt. Schlampige Menschen, zu denen auch Frauen gehören, die rauchen, stören ihre Ästhetik. Pornografie und abstrakte Kunst ist ihnen zuwider, gesellschaftlicher Wandel ein Gräuel. Nur klein ist ihre Bereitschaft, sich auf Neues und Fremdes einzulassen. Schutzwälle aus Hecken, Zäunen und Gardinen, urteilen die Wissenschaftler, dienen ihnen zum Rückzug in die eigenen vier Wände, wo man sich vor dem Bösen der Welt verschont glaubt, vor Sittenverfall und Überfremdung.
Mit einem Marktanteil von 15,7 Prozent (Vorjahr: 12,0 Prozent) ist die „Bürgerliche Mitte“ inzwischen die wichtigste Zielgruppe, Hoffnungsträger für die Zukunft der Fernsehfastnacht. Denn 30 bis 55 Jahre alt sind diese Zuschauer gewöhnlich. Eine Gruppe also, die das Überleben der Fastnacht im Fernsehen garantieren könnte. „Das Leben so angenehm wie möglich gestalten“, beschreibt die Forschung die Lebenseinstellung dieser Zuschauer, „sich leisten können, was einem gefällt – aber flexibel, realistisch und bodenständig bleiben“. Es sind die Smart-Shopper von heute, Menschen, die auf Kleidung, Essen, Wohnung und Urlaub Wert legen, sich in ihrer Freizeit aber kaum von den „Traditionsverwurzelten“ unterscheiden. An Marktanteilen zugelegt, wenn auch nur 1,2 Prozent, haben auch die sogenannten „Etablierten“. Auch sie liegen den Programmgestaltern besonders am Herzen, bürgen sie doch für Qualität und gesellschaftlichen Stellenwert. Hinter ihnen verbergen sich die meisten der jüngeren Zuschauer, die gesellschaftliche Elite, leitende Angestellte und höhere Beamte, Selbstständige und Freiberufler. Menschen mit überdurchschnittlich hohem Bildungsniveau, die im Internet ebenso zu Hause sind wie im Theater- und Opernsaal. Es ist die Gruppe, die an den Fortschritt glaubt, gesellschaftliche Auseinandersetzungen nicht fürchtet, trotz aller Flexibilität aber Bewährtes eher bewahrt als verändert. Kaum eine Rolle als Zuschauer närrischer Sendungen spielen die so genannten hedonistischen Milieus, hinter denen die jungen Vertreter der Spaßgeneration stecken. Menschen, die Leben gern als Lifestyle inszenieren, die neue Bohème, die am Abend lieber ins Kino oder in die Kneipe geht, statt sich vor den Fernseher zu setzen. Für die Fastnacht, wenn überhaupt, auf der Straße stattfindet. Auch die „Modernen Performer“ haben mit Saalfastnacht wenig am Hut, die junge Leistungselite, die sich auf kein bestimmtes Lebensmuster festlegen lässt. Was aber verraten diese Zahlen den Fernsehmachern? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Zweifelsohne kam die kurze Kampagne den Quoten zugute. Aus Terminnot verzichteten die Programmgestalter so auf die eine oder andere Sendung, die im Vorjahr quotenmäßig enttäuschte. Die Verknappung des Produkts Fernsehfastnacht kam so den Gesamtquoten zugute. Für die Planung heißt das, künftig noch stärker auch auf die übrigen Anbieter zu achten, Überschneidungen mit närrischen Programmen in anderen Sendern zu vermeiden. Darunter musste zuletzt die Sendung „Fastnacht an Neckar, Rhein und Bodensee“ leiden, die zeitgleich zu einer Fernsehsitzung in Saarbrücken ausgestrahlt wurde.
Inhaltlich müssen die Macher weiter einen Spagat wagen, auf der einen Seite ihr immer älter werdendes Stammpublikum halten, auf der anderen sich langsam jüngeren Zuschauern öffnen. Für große Experimente also ist in der Fernsehfastnacht kein Platz. Im Gegenteil. Wenn die Zeichen nicht trügen, suchen immer mehr Zuschauer im Fernsehen verstärkt nach einem Ersatz für die reale Teilnahme am Fastnachtsfest. Die einen, weil sie aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht mehr aktiv am Straßen- und Saalkarneval teilhaben können. Die anderen, weil ihnen ökonomische Gründe wie hohe Eintritts- und Getränkepreise den Zugang zu größeren Sitzungen erschweren. In beiden Fällen erfüllt das öffentlich-rechtliche Fernsehen wie beim Profifußball inzwischen eine Art Grundversorgung. Für die Fastnacht aber heißt das: Eine Weiterentwicklung des Festes kann nur von den aktiven Narren kommen, den Gestaltern der Sitzungen und Teilnehmern am Narrensprung. Sie haben es in der Hand, das Fest behutsam weiterzuentwickeln, es für neue Formen und Inhalte zu öffnen. Neues kann dabei auch Altes sein, nicht alles, was man im letzten Jahrhundert vorschnell über Bord geworfen hat, war Ballast. Eine Eventkultur aber darf die Fastnacht niemals werden. Das Fest, auch wenn es sich global gibt, ist regional an Bräuche gebunden, an gemeinsame Aktionen, die Menschen seit Jahrhunderten verbinden. Denn Fastnacht, wissen auch die Fernsehmacher, ist ein Fest, das sich das Volk gibt, nicht eines, das dem Volk gegeben wird. |
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