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KOSTÜME UND KOPFPUTZ ZUM STAUNEN
Schleicherlaufen in Telfs: Tiroler Maskenbrauch mit Tradition
von Günther Schenk

Licht und Wärme soll sie bringen, ein bisschen Freude in die Herzen der Tiroler. Die Sonne, die ein paar Burschen morgens um sieben auf einer langen Stange durch die Marktgemeinde tragen. Die meisten schlafen dann noch, schließlich ist es dunkel in Telfs und meist auch bitterkalt. Ab und zu wirft sich dem Sonnenträger im Bauernkittel ein Herr im Frack vor die Füße. „Liebe Sonne“, ruft er laut, „send über Telfs heut deine Strahlen, und zwar, dass man's kannt nit schöner malen, denn wir brauchen dich heut den Tag.“


Prächtig zeigen die Schleicher ihre individuellen Kopfputze. Alle Fotos: Peter Haller


Anno 1890, heißt es in einer Chronik, hätten starke Schneefälle am Vorabend das Schleicherlaufen gefährdet, worauf ein paar „Spaßvögel“ den Telfern rieten, ihrem Maskenzug doch einfach eine Sonne vorauszutragen. Also malten die Telfer eine große Sonne auf ein Stück Pappe und steckten es auf eine Stange. Seitdem, will man in Telfs wissen, sei der Wettergott immer gnädig gewesen. Und seitdem ist der Sonnenträger unterwegs, begleitet von einem Wirt, einem Schlosser, einem Trommler und einem Kaminkehrer, auf dessen Arm gewöhnlich ein Ferkel quietscht.




Prachtstücke alpiner Volkskunst
Wenn die ersten Narren zum zweiten Frühstück die Wirtshäuser stürmen, lotsen freiwillige Helfer die anrückenden Gäste auf die umliegenden Parkplätze. Derweil rüsten die Helden des Tages für ihren großen Auftritt. Eltern und Freunde helfen den Schleichern beim Ankleiden. Samt und Seide zieren ihre Kostüme, weite Bundhosen, dazu weiße Blusen mit Ärmeln aus Spitzenrüschen. Eine Schärpe schmückt die Hüften, ein feiner Kragen den Hals. Goller heißen ihn die Einheimischen. Blickfang aber sind die Hüte der Schleicher, einer schöner als der andere. Bis zu zwölf Kilo schwere Kopfbedeckungen, die zu den Prunkstücken alpiner Volkskunst gehören. Filigrane Bastelarbeiten aus Pflanzen und ausgestopften Tieren, Stein und Holz. Mit Kleister, Gips, Draht, Leinen, Papier und Styropor werden die Naturteile zu kunstvollen Motiven verarbeitet, zu Darstellungen aus dem bäuerlichen Leben oft, einer Mischung aus Kitsch und Kunst.




Kutscher im Frack holen die Schleicher schließlich zu Hause ab, bringen sie in Pferdekutschen zum Aufstellplatz. Draußen am Waldrand jagen ein paar Burschen inzwischen den Bären, der an langer Kette ins Dorf geführt wird. „Gut Tatz“, grüßt der Führer sein Pelztier, in dessen Fell ein kräftiger Tiroler steckt. Punkt Elf markieren Böller den Start zum eigentlichen Schleicherlauf. „Auf! Auf! Juchhei! Wir leben das Leben! Die Fastnacht ist frei!“

Hoch zu Ross rufen Herolde das Fest aus, künden Fanfaren vom feierlichen Aufzug. In Landsknechtuniformen sorgt die Stadtkapelle für Stimmung. Kostümierte Reiter auf rustikalen Haflingern erinnern an die vier Jahreszeiten, an den Wechsel zwischen Sommer und Winter. Dann nahen lautstark die Wilden. Ein halbes Hundert grimmig maskierter Männer und Burschen, über und über mit Baumbart behangen, einer Flechte, wie sie in den Hochwäldern des nahe gelegenen Kühtai heimisch ist, ein Schmarotzer an den Nadelbäumen. Die Wilden sind die Ordnungshüter in Telfs, sollen in den engen Gassen Platz für die Schleicher schaffen, wenn es sein muss, mit dem Knüppel. Mittendrin freut sich der Panzenaff, ein Tschinellen schlagender Affe auf einem großen Fass, das Maskottchen der Gruppe.


Die Wilden Männer der Telfer Fasnacht sind die Ordnungshüter und „Platzmacher“ für die Schleicher. Foto: Peter Haller
Zehntausende beim Kreistanz
Schließlich nahen die Schleicher, voran ein Laternenträger, ein Harlekin mit weiß geschminktem Gesicht und roten Bäckchen. Würdevoll, fast lautlos, folgen ihm die Männer mit den großen Hüten, bestaunt wie das Allerheiligste beim Umgang an Fronleichnam. Über ihren Aufzug wurde immer wieder gerätselt. Einige wollten in ihm einen Fruchtbarkeitstanz sehen, andere die Vertreibung des Winters. Einer verglich ihn gar mit dem Almauftrieb der Kühe. Wissenschaftlich bewiesen ist freilich nur, dass es das Schleicherlaufen seit dem 19. Jahrhundert (Quelle von 1830) gibt, auch wenn die Telfer Fastnacht schon 1571 (Zitat www.schleicherlaufen.at: Wirklich gesicherte Überlieferungen gibt es erst seit der frühen Neuzeit. Die älteste Erwähnung stammt aus dem Jahr 1571.) erstmals Erwähnung gefunden hat. Richtig populär aber wurde das Maskentreiben erst, als die Fremden nach Tirol kamen. Schon 1905 hatten 300 Plakate für den Maskenzug geworben, zu dem damals über tausend Neugierige anreisten. Inzwischen sind es Zehntausende, die sich bei gutem Wetter in den Hauptstraßen drängen, um auf sechs ausgesuchten Plätzen das Maskenspiel zu verfolgen, vor allem den Kreistanz der Schleicher.

Zu seinem Auftakt tönt der Goaßer in sein Horn. Ein Ziegenhirte, begleitet von Tuxer und Tuxerin, einem Tiroler Pärchen im Trachtenanzug. Ihren Reigen haben die Schleicher wochenlang geprobt. Schließlich müssen bei ihren Sprüngen die schweren Schellen aus Eisenblech gemeinsam anschlagen, anders als früher, als jeder Schleicher nach Herzenslust kreuz und quer umhersprang.

Der Wirt ist der Chef
Wortführer der Truppe ist der Wirt, der alle Ehrengäste dreimal hochleben lässt, vom Minister bis zum Dorfschulzen. Auch alle, die kräftig in die Schleicherkasse zahlen, werden öffentlich gelobt. Zum Dank erklingen die Schellen, tanzen die Schleicher, je nach Spenderlaune einen viertel, halben oder ganzen Kreis (Schleicherkroas). Schließlich machen sie den anderen Masken Platz, der Orientalen- und Exotengruppe mit Bären, Affen, Kamelen, einem Elefanten und einer riesigen Schildkröte. Zum Schluss kommen verschiedene Gesangsgruppen auf großen Wagen, karikieren in launigen Versen die Schwächen und Eitelkeiten ihrer Mitbürger.

Das Ende am Friedhof
Spät mittags schließlich erreichen die Schleicher den Friedhof. Gedenken angesichts der Gräber aller verstorbenen Fastnachter, erinnern so an die Vergänglichkeit alles Irdischen. Noch einmal tanzen sie im Kreis, noch einmal erklingen ihre Schellen, drücken die schweren Hüte auf den Kopf, die Füße spüren die meisten schon längst nicht mehr.

Infos unter www.schleicherlaufen.at

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