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HERBSTEIN WIE ES SPRINGT UND LACHT
In Osthessen feiert man Foaselt, eine rheinische Fastnacht mit alpinem Kern

von Günter Schenk


Dirndl und Lederhose tragen sie, auf dem Kopf bunte Hüte. Sechs kostümierte Pärchen, angeführt von einem Bajazz, der mit Krone und Zepter am Rosenmontag samt seiner Truppe durch Herbstein tobt, die kleine Stadt am Rande des Vogelsbergs. Nicht wild und zügellos wie sonst im Narrenland, eher akrobatisch, diszipliniert. Nach einer seit Generationen überlieferten Choreografie jedenfalls, die wochenlanges Proben erfordert. Denn der Bajazz und seine Springer sind das Aushängeschild der Herbsteiner „Foaselt“, ihr Zug durch das Städtchen einer der ausgefallensten Maskenbräuche Deutschlands.


So schön springt nur, wer wochenlang geprobt hat.


Die Traumrolle teuer ersteigert
Schon die ersten Sprünge treiben den Burschen den Schweiß auf die Stirn. Den jungen Männern, die auch die Frauenrollen im närrischen Spiel verkörpern. Ihr Höhenflug folgt über Jahrzehnte bewährter Tanzregie. Kurzer Anlauf, Sprung nach oben mit angezogenen Beinen, Drehung nach innen. Dann das Gleiche mit Drehung nach außen. Nicht einfach, wenn man in der einen Hand noch einen Schirm hat und seinen Partner an der Hand halten soll. Nur lange Übung macht da den Meister, die schon gleich nach Dreikönig be­ginnt. Mindestens zweimal wöchentlich trifft sich der Tross dann zum Konditionstraining, werden die Schritte wieder und wieder geprobt. Besonders intensiv, wenn der Fastnachtstermin recht früh im Jahr liegt.

Kommandant der Truppe ist der Bajazz mit Krone und Zepter. Eine Figur, wie sie ähnlich auch bei mancher Tiroler Volksfastnacht den Narren vorauseilt. Ein Herrscher auf Zeit, der sich wie seine Mitspringer den Spaß teuer erkauft hat. Viele Tausend Euro legen die Herbsteiner manches Jahr für die närrischen Paraderollen hin, die traditionell am ersten Januarsonntag versteigert werden. „Zum Ersten, zum Zweiten ... und zum Dritten! Für den Bajazz und seine Truppe kommt der Zuschlag der Verteilung olympischer Medaillen gleich. Schließlich erlaubt er ihnen, die Stadt zu repräsentieren. An den Tagen vor Aschermittwoch ebenso wie beim Hessentag, wo der Springerzug gern gesehen ist. Selbst bei der New Yorker Steubenparade oder der Grünen Woche in Berlin waren die Osthessen zu Gast.


Der Bajazz führt den Tanz der Springer an.
Schon einen Tag nach der Versteigerung der Ämter ist Kostümprobe, schlüpfen die neuen Narren in bunte Dirndl und Lederhosen, in die traditionellen Samtkostüme, deren Farben und Muster sich seit Generationen kaum geändert haben. Sechs Duos bilden sich so, unter denen das so genannte Tiroler Pärchen, das gleich hinter dem Bajazz springen darf, eine Vorrangstellung genießt. Hin und wieder gilt es, auf ersten Sitzungen Kostproben ihres Könnens zu zeigen, den Vorhang für den großen Auftritt kurz zu lüften.


Es lebe hoch die Narretei
„Nun möchte ich nach alter Sitte als Bajazz wohl in eurer Mitte, den Start zum Rosenmontag geben“, verkündet Herbsteins Bajazz schließlich auf dem Kinderball am Fastnachtssonntag. „Drum lasst uns alle fröhlich sein und stimmet mit mir ein: Seid froh mit Herz und Hand dabei, es lebe hoch die Narretei.“ Richtig zur Sache aber geht es erst einen halben Tag später, wenn der ­Bajazz wie immer von der kleinen Treppe des Vereinsheims zum großen Sprung ansetzt und so den Reigen närrischer Höhenflüge eröffnet.


Elferrat und Funkenmariechen, die den Bajazz auf seinem Weg durch Herbstein begleiten, erinnern wie der Mainzer Narrhallamarsch an rheinische Rosenmontagszüge. Auch die kleinen und größeren Motivwagen, mit denen sich Vereine und Stammtische artikulieren, verheißen eher städtische als dörfliche Fastnacht. Nur ein Treiber und sein Bär, für dessen Kleid man schon im Herbst Erbsenstroh zusammenträgt, verweisen auf ältere Strukturen. So auch das „Siebpferdchen“, ein närrisches Ross, das seinen Namen einem von Kartoffelsäcken verdeckten Getreidesieb verdankt, das sich um die Hüften seines Trägers spannt. Genau betrachtet ist es ein Scheinpferdchen, wie es seit Jahrhunderten religiöse Prozessionen und närrische Umzüge in ganz Europa bereichert. Und ins Auge fällt schließlich noch ein Storch, in dem die Herbsteiner ein Fruchtbarkeitssymbol sehen wollen. Kein Wunder, dass sich ihm in den letzten Jahren Arzt und Hebamme zugesellt haben.

Der Storch, ein Fruchtbarkeitssymbol, das auch in vielen schwäbisch-alemannischen Fastnachtsbräuchen in Erscheinung tritt.
Alle Fotos: Günter Schenk
Tiroler in Hessen
Blickfang aber ist der Springerzug, dessen Kleidung und Auftritt aufmerksame Beobachter an die großen Tiroler Volksfastnachten erinnert, wo tänzerische Auftritte kostümierter Trach­tenträger bis heute ebenfalls im Mittelpunkt des närrischen Treibens stehen. Und wie in Tirol tanzen auch die Herbsteiner am Rosenmontag vor ausgesuchten Häusern, machen die Springer bei altgedienten Narren, Politikern und Geschäftsleuten Station. Dreimal lässt der Bajazz dort die Notabeln hochleben, ehe er sie zur „Foaselt“ lädt, mit der an diesem Tag der traditionelle Rosenmontagsball gemeint ist. Und wie in den alten Tiroler Fastnachten danken auch hier die Geladenen für die dialektgewürzten Sprüche mit einer Geldspende. „Mit 35 bis 60 Euro“, wie Narrenchef Udo Eckerscham weiß, der Chef der Fastnachtsvereinigung Herbstein.

Die Analogien zur Tiroler Fastnacht scheinen nicht zufällig. Über viele Jahrzehnte nämlich fanden Handwerker aus der Alpenregion in Herbstein Arbeit, halfen Steinmetze im 17. Jahrhundert nachweislich beim Bau der zuvor im Krieg zerstörten Stadtmauern. Auch auf die Frage, warum sich Tiroler ausgerechnet in dem heutigen Luftkurort niederließen, hat die Wissenschaft eine Antwort gefunden. So waren katholische Wanderhandwerker damals gehalten, möglichst in katholischen Ortschaften Arbeit zu finden, was in der weitgehend protestantischen Großregion nur Herbstein heißen konnte. Unklar bleibt, wie und wann der Springerzug seinen Anfang nahm. Erste Belege stammen aus dem Jahr 1845, aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als auch die großen Tiroler Volksfastnachten zu ihren heutigen Formen fanden. Moderne Volkskundler wollen in dem Brauch deshalb auch nur ein Stück romantischer Folklore sehen, auf keinen Fall einen der ältesten deutschen Fastnachtsbräuche, womit man sich in der Region gern rühmt.

Der Bajazz im vollen Ornat
Der Begeisterung der Narren tut das keinen Abbruch, auch wenn die Beine der Springer inzwischen schwer geworden sind und Muskelkater nicht nur den Bajazz quält. Endstation ihres Zuges ist wie immer das „Haus des Gastes“, wo es schunkelnd und tanzend in die letzten Rosenmontagsrunden geht. Das Alkoholverbot für die Springer ist jetzt außer Kraft. Spät abends treten die Helden des Tages noch einmal in Aktion, hüpfen sie ein letztes Mal Richtung Himmel. Und wie meist reihen sich dann auch die ehemaligen Bajazze in den närrischen Reigen der Springer, schwingen noch einmal das Zepter, um von alten Zeiten zu träumen.

Am nächsten Tag ist der harte Kern schon wieder unterwegs, klopfen die Narren an die Herbsteiner Türen, um Eier und Speck zu sammeln. Zutaten für eine Art närrische Henkersmahlzeit, die beim traditionellen Lumpenball gereicht wird. Zum Abschluss der Herbsteiner „Foaselt“, die Punkt Mitternacht mit der Verbrennung einer Strohfigur nicht selten tränenreich endet.


Die Fahne wird wieder eingezogen
Tags drauf verspeist der Elferrat, wie früher die Springer und ihre Altersgenossen, einen Kuchen aus Brezelteig, wird die Fahne vor dem Haus des Bajazz wieder eingezogen, die dort seit Dreikönig für jeden sichtbar den Sitz des närrischen Herrschers markiert hat.

www.fv-herbstein.de



Das Siebpferdchen begleitet den Tanz der Springer
Alle Fotos: Günter Schenk
Ausgesuchte Herbsteiner Bürger werden mit einem Tänzchen vor ihrem Haus geehrt.

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