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Ich lasse mich vom Holz führen
Skurrile Masken und traditionelle Larven des Fridinger Künstlers Willi Bucher von Wulf Wager Ein geheimnisvolles Duftgemisch durchströmt den Raum. Der würzige Geruch des Holzes vermengt sich mit den flüchtigen Bestandteilen von Holzleim und Farbe. Sanft streicht der graubärtige Mann mit den schalkhaften Augen und dem drahtigen Antlitz mit rauen Fingern über den lange gelagerten, trockenen Holzklotz. Trocken muss er sein, denn sonst reißt das Holz. Mit geübten Griffen, die er wie im Schlaf zu beherrschen scheint, spannt er den Stotzen in die Werkbank. Er greift sich ein scharfes, breites Schnitzeisen und den hölzernen Knüpfel, treibt ihn mit präzise angesetzten Stakkato-Schlägen in das helle Lindenholz, und schon fliegen die groben Späne durch die sauber aufgeräumte Werkstatt. Immer wieder wischt er mit der Hand die widerspenstigen Späne weg und prüft den Fortschritt seines Werkes kritisch. Wenn durch die großen Fenster einer hereinschauen würde, so ließe sich der Eindruck nicht vermeiden, dass hier ein Besessener am Werke ist.
Kunst statt Kartoffelschälen Er ist ein Besessener, ein von der Kunst Getriebener, ein kreativer Tausendsassa. Ein international ausgezeichneter Künstler. Willi Bucher (63) Steinbildhauer, Steinmetz und gnadenvoller Maskenkünstler schnitzt aber noch Larven für die traditionelle Fridinger Fasnet. „Wenn do onner zeh Euro weniger nimmt, no hollet se’s do!“, sagt er, und man weiß nicht so recht, ob er sich über die Nichtachtung seiner Kunst oder den Niedergang der handwerklichen Qualität durch das Kopierfräsen ärgert. Für ihn jedenfalls hat das Kopieren mit der Kopierfräse keine künstlerische oder handwerkliche Qualität. Er beherrscht sein Handwerk, man sollte besser sagen, seine Kunst. Er gehört mit einer guten Hand voll weiterer Schnitzer im schwäbisch-alemannischen Raum zu den Letzten seiner Zunft, die jede Larve aus dem vollen Holz schnitzen und auf das Kopierfräsen verzichten. Spöttisch bezeichnet er das Fräsen mit der Maschine als „Kartoffelschälen“. Kaum sind drei Minuten vergangen, da kann man bereits die grobe Form der Larve eines Fridinger Narren erkennen. Es fliegt kein Span zuviel an der falschen Stelle. Seine Vorstellung der fertigen Larve fließt direkt in seine kräftigen, sehnigen Hände. Künstlerische Bruderschaft Aber das Schnitzen war Willi Bucher keineswegs in die Wiege gelegt. Denn sein erlernter Beruf ist Chirurgiemechaniker. Eine Profession, der viele Menschen im Oberen Donautal nachgehen. Doch Befriedigung fand er in diesem Beruf nicht. Vielmehr betörte ihn sein 15 Jahre älterer Bruder Franz, der künstlerischer Bildhauer war. Schon früh hat er den kleinen Willi für die Kunst begeis tert. Nach dem frühen Tod der Eltern wurde Willis Bruder Franz seine enge Bezugsperson. So ging er direkt nach der Lehrzeit zwei Jahre lang seinem Bruder zur Hand. Das führte dazu, dass er eine weitere Lehre als Steinhauer begann und gleich danach auch noch die Meisterschule – wie kann es anders sein – mit Erfolg abschloss. Seit 1970 ist er als Steinbildhauermeister selbstständig. 1982 konnte er die Mühlebauer-Werkstatt seines Schwiegervaters übernehmen. Freiberuflich ist er als Bildhauer tätig und längst international renommiert. Einen Namen hat sich Willi Bucher vor allem auch durch die komplette Restaurierung des Rottweiler Münsters gemacht, die im Jahr 2007 abgeschlossen sein wird. Bei meinem Besuch treffe ich Willi Bucher vor seiner Werkstatt an, wo er gerade ein Lesepult, einen Ambo für eine von ihm entworfene Kircheninnenraumgestaltung anfertigt. Viele Kirchen in der näheren und weiteren Umgebung hat er künstlerisch gestaltet. Und so wird vieles, was er geschaffen hat, die Jahrhunderte überdauern. Wir gehen hinüber über die Straße in das Wohnhaus. Hier lebt er mit seiner Frau Martha und den beiden Töchtern. Die dritte Tochter wohnt mit ihrer Familie gerade nebenan. Die Buchers waren schon immer ein Clan, der, geankert in der Heimat Fridingen, basierend auf den Erkenntnissen der Tradition, in der Region wirken konnte. Fischgräte und Feuerwehrschlauch Was sie so außergewöhnlich macht sind nicht selten die Zutaten, mit denen Willi Bucher die Larven garniert. Mal ist es eine alte Wurzelbürste, die als Haarpracht auf die Larve drapiert ist, mal ist es ein Fetzen Feuerwehrschlauch, mal ein Pflanzenrest und mal eine Fischgräte. Und es ist die Art der Bearbeitung und Vervollkommnung nach dem Schnitzen. Zufällig entdeckte Bucher, als er eine feuchte Zeitung um das Holz wickelte, damit es nicht reißt, dass sich die Lettern auf dem Holz abzeichneten. Nach einigen Versuchen gelang das mit Perfektion. Heute leimt Willi Bucher Zeitschriftenseiten direkt auf das Holz . „ Ich schaue mir Illustrierte oft danach durch, welche bunten Bilder ich verwenden kann. Nach dem Aufkleben schleife ich sie teilweise wieder ab. Darüber kommt Bienenwachs und Talkum, das führt die Farben zusammen“, erklärt Willi Bucher seine Technik. So entstehen sonderbare und eigentümliche Oberflächen. Auch Sand dient ihm ebenso wie das Abflammen zur Gestaltung der Larvenoberflächen. Manche Larve erinnert an alte Kultmasken prähistorischer Völker. Wieder andere weisen geradlinig in die schwäbisch-alemannische Maskentradition und wieder andere den Weg in die Tiefen des Unbewussten des Schnitzers. Angst- und Traumwesen, Kobolde oder auch „Boten des Wahnsinns“, wie sie Claudia Knubben in dem 1996 erschienenen Ausstellungskatalog „Willi Bucher, Larven“, bezeichnet. „Ich habe selten eine Idee vorher und mache auch ganz selten einen Entwurf oder eine Skizze. Ich lasse mich einfach vom Holz führen“, so erklärt Willi Bucher seine Inspirationstechnik. Auf die Frage, warum er denn nicht das viel weichere Lindenholz verwende, antwortet Bucher: „Das alte Eichenholz ist von der Patina und vom Leben her viel interessanter.“ Den Zugang zur Maskenschnitzerei bekam Willi Bucher erst, als 1968 der Fridinger Lehrer Martin Schnell zu ihm kam und ihn mit dem Schnitzen einer Larve beauftragte. Dem hellsichtigen Lehrer muss heute noch gedankt werden, denn dieses erste Larven exemplar gelang und offenbarte Willi Buchers Talent, Larven zu schnitzen. Fälscherwerkstatt Willi Bucher führt mich weiter zu einem Regal, aus dem er zwei große Pappschachteln hervorzieht. Über und über gefüllt mit alten Larven. Ehrfürchtig trage ich einen der für solche Kostbarkeiten fast unpassenden Behälter in das Wohnzimmer, sorgsam darauf bedacht, die wertvollen Unikate nicht versehentlich zu Bruch gehen zu lassen. Obwohl – Willi Bucher hätte bestimmt eine kreative Verwendung dafür. Sorgfältig und mit großem Respekt breite ich eine Maske neben der anderen auf dem Wohnzimmerteppich aus. „Alles nochg’macht“, sagt Willi Bucher und ich wundere mich sehr. Sehen doch die Larven nicht nur vorne, sondern auch auf der Innenseite uralt und sehr original aus. Und: Sie riechen auch his torisch. Willi Bucher kann nicht nur Larven schnitzen, er kann alte Masken derartig gut kopieren, dass selbst ausgewiesene Experten ins Straucheln geraten. Der zufällig zu einem Kurzbesuch hereinschneiende Schramberger Maskenschnitzer Siegfried Schaub kommentierte die ausgebreitete Replikenpracht augenzwinkernd mit den Worten: „Ja, des isch jo a Fälscherwerkstatt dohinne!“ Das stimmt natürlich so keineswegs, denn Willi Bucher fragt beim Eigentümer der Originale, ob er eine Kopie anfertigen darf und signiert die Falsifikate. Zwei Wilflinger Teufelsmasken aus dem späten 19. Jahrhundert kann ich erst nach einigen Minuten genauen Detailstudiums in Original und Replik unterscheiden. Und auch Siegfried Schaub nickt anerkennend. Das ausgesprochene Lob will Willi Bucher aber nur zum Teil annehmen. Mehr als die Hälfte würde die Fassung, also die Bemalung, an der Qualität der Replik ausmachen. Für die Fassung der Repliken war bis zu seinem Tod im Jahr 2002 der Fridinger Restaurator und Kunstmaler Hans Bucher, der „Eck-Hans“ zuständig, der im berühmten Scharfen Eck lebte und wirkte. Dessen langjähriger Geselle. Sigi Kossack führt diese Arbeit für Willi Bucher nun aus. Z’viel Hästräger und z’wänig Narre! Willi Bucher kennt seine Pappenheimer. Schließlich war er acht Jahre lang im Fridinger Narrenrat aktiv. „Heut’ gibt’s z’viel Hästräger und z’ wänig Narrre!“, echauffiert er sich. Er begnügt sich mit der Rolle des Zaungastes und freut sich inwendig, wenn seine Larven beim Fridinger Pflugumzug am Schmotzigen Donnerstag an ihm vorbeiparadieren. „I gang nimme maschgera, weil i des nimmi toppa ka, was ich erlebt hab. In Fridinge isch Fasnet a Sach vu junge Leit.“ So kündigt er in dem nachmittäglichen Gespräch an, auch mit 65 Jahren nicht aufhören zu wollen Larven zu schnitzen. Dennoch möchte er dann „mehr in Stein machen“. |
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