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Die »Weibermühle von Tripstrill« in Wolfach
von Frank Schrader

An der Fasnet 2007 wird in Wolfach am Schellementignachmittag das Fasnetsspiel „Die Weibermühle von Tripstrill“ des aus Biberach an der Riß stammenden Magisters und Musikdirektors Georg Anton Bredelin (1752–1814) auf der Bühne vor dem Rathaus aufgeführt. Das Spiel entstand zwischen 1784 und 1797, als Bredelin in Hausach als Lehrer tätig war. Der älteste überlieferte Spieltext ist mit 2. März 1802 datiert, auf den in jenem Jahr der Fasnetzieschtig fiel.


Lithographie der Weibermühlen-Aufführung von 1836 Repro: Frank Schrader


Bredelins musikalisches Nachspiel verbindet die seit dem Mittelalter thematisierte Verjüngungsmühle mit der im Sinne eines Utopia oder Narragonien verwendeten Ortsbezeichnung Tripstrill. Der Text besteht aus 33 Strophen, die alle auf dieselbe Melodie gesungen werden. Diese Melodie ist im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg nur aus Wolfach belegt und dürfte deshalb von Bredelin selbst komponiert worden sein. Die Strophenform folgt dem siebenzeiligen Reimschema ababccx und wird auch als Lutherstrophe bezeichnet.

Die Handlung des Singspiels lässt sich in einen Prolog, sechs Szenen und einen Epilog gliedern. Nachdem der Müllermeister Cyprian seine Wundermühle angepriesen hat, bringen nacheinander fünf Männer – ein Weber, ein Schneider, ein Schuster, ein Bauer und ein Schreiber – ihre alten Weiber zur Mühle und klagen dem Müller ihr Leid, wobei sich gelegentlich auch der Hanswurst Stolprian mit spöttischen Kommentaren einmischt. Die alten Weiber landen trotz Gegenwehr in der Mühle. Bei jedem Mahlvorgang stimmt Cyprian sein Zauberlied an, damit die Verwandlung auch gelinge:


Allo! Mein Mühlrad! Wie der Wind
Dich hurtig trill herum!
Nimm sie nur wacker bei dem Grind!
Die ganz Natur kehr um!
Mach, dass sie sauber, jung und fein
Aus einer alten Hex erschein,
:/: Allo! Allo! Allo! :/:



Die Melodie des Fasnetsingspiels „Die Weibermühle von Tripstrill“ von Georg Anton Bredelin (1752-1814)


Nach ihrer Verjüngung will nun das Weib nichts mehr von ihrem alt gebliebenen Mann wissen, der sich darum lebhaft beschwert, doch bleibt ihm nur der Spott des Müllermeisters oder Hanswursts für sein törichtes Handeln. Nachdem der Hanswurst gesehen hat, wohin die Verjüngung der Weiber führt, bringt auch er sein Weib zur Mühle in der Hoffnung, dass dieses ihn danach verlassen werde, doch wendet sich das Schicksal gegen ihn. Es folgen als Epilog drei Strophen, in denen die Männer, der Hanswurst und die Weiber ihre jeweils eigenen Schlüsse aus der Handlung ziehen.
Für den Müllermeister wählte Bredelin vermutlich ganz bewusst den Namen Cyprian, denn er bezieht sich damit auf eine alte Sagengestalt. Der heilige Cyprian von Antiochien († 304) war einst ein berühmter Zauberer, bevor er zum Christentum bekehrt wurde. In der Legende spielen die Zauberkunst des Heiligen und seine Verbindung mit Dämonen eine große Rolle. Der spanische Dramatiker Pedro Calderón de la Barca (1600–1681) verband die Cyprian-Legende 1637 in seinem Schauspiel „El Mágico Prodigioso – Der wundertätige Magier“ mit der spanischen Version der Faustsage. Im 19. Jahrhundert griff Theodor Storm diese alten Überlieferungen in seiner Erzählung „Der Spiegel des Cyprianus“ auf. Auch in Umberto Ecos 1980 erschienenen Roman „Der Name der Rose“ wird das okkulte Buch des Sankt Cyprian erwähnt.

Dem Hanswurst gab Georg Anton Bredelin, wohl in Anlehnung an ein Fastnachtsspiel von Hans Sachs (1494–1576), den Namen Stolprian, was hier auch als eine Verballhornung von Cyprian zu deuten ist und den Hanswurst zu einer Parodie seines Meisters macht, dessen Zauberkraft er für sich auszunutzen gedenkt, dabei aber sozusagen über seine eigenen Füße stolpert. Im 18. Jahrhundert bedeutete der Begriff Stolprian bildlich „Fehler“ und einen Stolprian machen „stolpern“.

Nachweislich aufgeführt wurde die Weibermühle in Wolfach 1802, 1836, 1858, 1892, 1973, 1977, 1982, 1987, 1992, 1997 und 2002. Sonderaufführungen gab es in der Festhalle am 23. Oktober 1982 bei der Herbstarbeitstagung der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte im Rahmen eines Unterhaltungsabends für die Zunftvertreter und aus Anlass des 200-jährigen Bestehens des Stückes am 8. Februar 1987. Gedruckte Textbüchle erschienen 1858 und 1892 mit Lithographien von Adolf Neef (1823–1893) sowie 1973 und 1986 mit ausführ-lichen Anmerkungen des Wolfacher Heimatforschers Josef Krausbeck (1909–2000).


Wolfacher Altweibermühle aus dem Jahr 1937 Foto: Archiv der Freien Narrenzunft Wolfach


Die 81-jährige Spielpause der Weibermühle geht auf einen alten Aberglauben zurück: Nachdem 1892 die Weibermühle aufgeführt worden war und noch im gleichen Jahre das alte Rathaus abbrannte, beschlossen die Narren 1893 in einer Versammlung, das Spiel künftig nicht mehr aufzuführen. In der in Wolfach erscheinenden Zeitung „Der Kinzigtäler“ war als Begründung zu lesen: „Merkwürdigerweise ist auch jedesmal im selben Jahre, in welchem diese „verhängnisvolle Mühle“ gespielt wurde, also 1802, 1836 und 1858, ein größerer Brand in unsrer Stadt ausgebrochen.“ Wer später für das Stück eintrat, wurde gar als möglicher Brandstifter verdächtigt. Als Josef Krausbeck in den 1930er-Jahren eine Aufführung vorschlug, entgegnete der damalige Narrenvater Erwin Haas: Und was ist, wenn ein Brand ausbricht? Wie der Zufall so will, blieb beim großen Schlossbrand 1947, als fast alle größeren Requisiten der Narrenzunft verbrannten, ausgerechnet der 1937 angeschaffte hölzerne Kasten der Weibermühle vom Feuer verschont.

Der bekannte Fasnetsforscher Wilhelm Kutter erkannte den Wert des Bredelin’schen Originaltextes und brachte im Süddeutschen Rundfunk Stuttgart eine Aufnahme, die er 1960 in Wolfach machte; Josef Krausbeck schrieb dazu verbindende Texte für einen Sprecher. Bundesweit bekannt wurde Bredelins Spiel durch einen 1963 in der ARD gesendeten Fernsehfilm von Horst Scharfenberg, wobei allerdings nur ein kleiner Ausschnitt daraus zu sehen war.

Trotz der großen Beachtung, die die Weibermühle außerhalb Wolfachs fand, gab es weiterhin großen Widerstand gegen eine Aufführung, insbesondere in den Reihen des Kleinen Narrenrates. Einer der Narrenräte meinte gar, den „alde Schissdreck“, den wolle doch heut niemand mehr sehen. Erst 1973 gelang es Krausbeck, Bredelins musikalisches Nachspiel in einem Aufzuge wieder in Originalfassung auf die Bühne auf dem Marktplatz zu bringen. Er ergänzte dabei das Spiel durch gedichtete Sprechertexte und zwei Strophen seines 1955 entstandenen Liedes über die Weibermühle, um ein leichteres Verständnis des Inhalts zu ermöglichen.

Die Aufführung von 1977 filmte das Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF) aus Göttingen auf Initiative des Volkskundlers Prof. Rolf-Wilhelm Brednich, sodass Bredelins Spiel nun an allen europäischen Hochschulen betrachtet und studiert werden kann. Angeregt durch das große Interesse, das dieser ausgezeichnete Film erzeugte, drehte Rolf-Wilhelm Brednich 1983 einen zweiten Film, der alle Wolfacher Fasnetsbräuche dokumentiert. Als Brednich an die Universität von Wellington in Neuseeland wechselte, führte er dort mit großem Erfolg diese beiden Filme seinen Studenten vor.

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