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Narrensprung & Schellenklang
Musik und Tanz in der Fastnacht von Wulf Wager
In dieser Zeit war einst der Verzehr aller Produkte von warmblütigen Tieren verboten. Eine Fleischlosigkeit im durchaus doppeldeutigen Sinn war angesagt. Im Hinblick auf die bevorstehende entbehrungsreiche Zeit wurde in den Fastnachtstagen noch einmal ausgiebig gefeiert und die von nun an verbotenen Speisen und Handlungen wurden üppigst genossen. Es wurde getrunken, gesungen, getanzt, geküsst ... Die schwäbisch-alemannische Fasnet hat sich seit dem Mittelalter in vielen Metamorphosen zu einer farbenprächtigen Erscheinung entwickelt, die um 1880 fast zu erlöschen drohte. Zu stark war die Umarmung durch den rheinischen Karneval. Doch zum Ende des 19. Jahrhunderts besannen sich die Träger der traditionellen Fastnacht, die Handwerkerzünfte in den Städten und die örtlichen Burschenschaften in den Dörfern Südwestdeutschlands, auf ihre eigenen, alten Fastnachtstraditionen und gründeten Narrenzünfte, die nun die Organisation der Fastnachtsbräuche übernahm. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zieht das Phänomen schwäbisch-alemannische Fasnet immer mehr Menschen in seinen Bann. Es begeistert und findet neue kreative Spielformen, die sich, teilweise historisierend auf die mittelalterlichen Wurzeln der Fasnet beziehen. Wichtige Bestandteile der „Fasnet“ – wie dieses überschwänglich gefeierte Fest mundartlich korrekt bezeichnet wird – sind die Maskierung und Verkleidung in überlieferten Formen. Eine hölzerne Maske und Glocken und Schellen jedweder Art gehören zu den meist aus dem Barock stammenden Narrenkleidformen zwingend dazu. Wohliges Gefühl Neben der Maskierung und Vermummung ist die Musik, und auf ihr basierend der Tanz, das dritte Element, das im Narren geradezu einen mentalen Ausnahmezustand hervorruft. Musik vermag Stimmungen und Gefühle zu entfachen und zu verstärken. Insofern ist sie kaum rational zu erklären. Jeder empfindet sie anders. Stark ist die emotionale Berührung, wenn nach fast einem Jahr zum ersten Mal wieder der Narrenmarsch erklingt. „Da läuft einem innerlich eine Träne hinunter“, so hat ein praktizierender Narr diesen Gemütszustand beschrieben. „Mentale Authentizitätsbefindlichkeit“ würde der Volkskundler dazu sagen. Für den einen mag das Klingen der Basler Piccolopfeifen nur ein schrilles, bis an die Schmerzgrenze heranreichendes Klirren in hohen Frequenzen sein. Dem anderen vermittelt dieser Klang ein wohliges Gefühl, das mit einer Gänsehaut verbunden ist und das ihm vermittelt: „Jetzt isch endlich Fasnet!“ Während auf der einen Seite die Kirchenmusik mit ihren strengen harmonischen und form- gebenden Regeln als höchste Kunstform und gleichsam als Zeichen der Gotteserkenntnis steht, gibt es auf der anderen Seite die profane Musik der Narren, die auf einfachsten Instrumenten gespielt wird. Bereits im Mittelalter findet man auf vielen bildlichen Darstellungen Narren mit immer denselben Instrumenten. Da ist zum einen die „Sackpfeife“, der Dudelsack. Zum anderen sind es Trommel und Pfeife. Sebastian Brant stellt in seinem „Narrenschiff“ 1494 im Kapitel „von ungedult der straff“ einen Sackpfeife spielenden Narren dar, der Laute und Harfe, also hoch entwickelte Kunstinstrumente, zugunsten der einfachen groben Sackpfeife beiseitegelegt hat. Ein Sackpfiff ist des narren spil der harpfen achtet er nit vil. In den bildlichen Darstellungen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit begegnet uns der musizierende Narr fast ausnahmslos als allegorische Figur. Neben Teufeln, Spielleuten und Lastertieren war er der Gegenspieler des meist durch David verkörperten weisen Musikers. Die geordnete geistliche Musik ist als Zeichen der Gotteserkenntnis zu verstehen, während die einfache Musik des Narren für Dummheit und Ignoranz steht. Musik und Tanz galten seit dem Mittelalter als Verführung zu den Todsünden. Tanz, als Beginn wolllüstigen Handelns verstanden, war in den Augen der klerikalen und weltlichen Obrigkeit Teufelswerk. Verdeutlicht wird dies durch ein Zitat des Kapuzinerpredigers Dionysius von Lutzenburg im Jahre 1688: „Der Satan hat keine Zeit lieber, als beim Tantzen. Sobald als durch seine Anstiftung ein Tantz anfange, wo wirfft er auch sein Netz auß die Seelen zu fangen, umb wann sie davon den Schwindel bekommen sie in sein Garn zu verwickeln. Das Netz oder Garn seynd die Spielleut, das Fressen, das Sauffen, das Hüpfen, das Springen, das unzüchtige Küssen und geyle Tasten.“
Erotik Die Fastnachtszeit ist eine hemmungslose Zeit, in der die Regeln von Sitte und Anstand scheinbar außer Kraft gesetzt werden. Übermäßiger Genuss von Alkohol verstärkt die Ausgelassenheit. „‘s goht dagega!“ ist nun das Motto der Narren in Baden-Württemberg, das gleichsam Intellekt und gesittetes Benehmen auszuschalten scheint. Alles stemmt sich wider die Normalität des Alltags. Für die wenigen Tage der Fasnet gelten auch bei gebildeten Menschen andere Regeln. Die christliche Fastenzeit verlangte eine Fleischlosigkeit im doppelten Sinne. Insofern zeichnete sich – und zeichnet sich noch – die Fastnachtszeit durch eine erhöhte Sexualität aus. In manchen Gegenden wird der Fastnachtsmontag auch „geiler Montag“ genannt. Drei Arten von Erotik sind im musikalischen Erlebnisbereich der Fasnacht erleb- oder spürbar und zu unterscheiden: 2. die dargestellte und 3. die persifliert. Sie offenbart sich im Tanz allgemein. Wir hören Musik, sehen und fühlen, riechen und schmecken den (Tanz-) Partner. Durch starke Bewegung entsteht Körpergeruch und der enthält bekanntlich Sexualduftstoffe. Durch die Art der Bewegung beim Tanz und durch die bloße Nähe im Zusammenwirken mit den bereits genannten Sinneswahrnehmungen entsteht eine erotische Komponente, die durch den, die Hemmschwelle herabsetzenden Genuss von Alkohol noch gesteigert wird. Traditionelle Narrenfiguren stellen jedoch auch gestisch das symbolische Liebesspiel dar. „Ehestandsbewegungen“ werden die rhythmischen Vor- und Rückbewegungen des Beckens und der Hüfte während des tänzelnd vollführten Narrensprungs der Schellnarren aus Wilflingen im Hohenzollerischen genannt. Mit dieser Bewegung bringen die Narren ihre vier bis sechs horizontal um den Bauch gebundenen Glockengürtel zum Klingen. Das persiflierende Geschlechtsspiel stellen Laggescheller und Laggeroller beim Imster Schemenlauf als Pedant zu den kraftstrotzenden Scheller- und Rollerpaaren dar. Schaubrauch Der Tanz, sowohl als repräsentatives Schaubrauchtum, als auch als paarbezogenes, individuelles Phänomen, ist ein wesentliches Element schwäbisch-alemannischen Fastnachtstreibens. In den Städten des Mittelalters pflegten die Mitglieder verschiedener Berufsgruppen zur Fastnachtszeit Schautänze als Repräsentationsbrauchtum. Früheste Belege für diese vorgeführten und einstudierten Tänze findet man 1397 in Nürnberg. Damals waren es die Metzger, die aufgrund ihres Verdienstausfalls in der Fastenzeit das Privileg zur Aufführung des „Zämertanzes“, eines Kettentanzes, erhielten, bei dem eine lederne Wurst als Bindeglied zwischen den Tänzern diente. B egleitet wurden sie von zwei Pferdeattrappenreitern, wie sie noch heute als Narrenfigur in etlichen Gemeinden anzutreffen sind. Die Wurst als Tanzgerät – welche Verbindung man zur Fleischlichkeit der Fasnachtstage auch ziehen mag – findet noch heute Verwendung: Die Schömberger Fuchswadel benützen ebenfalls eine lederne „Narrenwurst“ beim Narrensprung und bei der Narrenpolonaise. Da bei den meisten Schwert- und Reiftänzen Europas Narrenfiguren eine wichtige Rolle spielen, ist der ursprüngliche Tanztermin meist in der Fastnacht zu finden. In Überlingen am Bodensee ist der Schwerttanz der ledigen Rebleute 1646 erstmals bezeugt und bis heute überliefert. Der Überlinger Schwertletanz ist ein klassischer Kettentanz, bei dem der Degen als Bindeglied von Tänzer zu Tänzer dient und dessen Höhepunkt die symbolische Scheintötung des Hänseles, der Narrenfigur, ist.
Narrensprünge Streng genommen ist alles, was über das normale Gehen hinaus an rhythmischen Bewegungen zur Musik passiert, Tanz. Wenn man in ein Narrenkleid schlüpft und sich die bis zu 20 Kilogramm schweren Schellenriemen um den Körper schlingt, verfällt man in einen inneren Zwang sich zu bewegen, um die Schellen zum Klingen zu bringen. Einer der schönsten und farbenprächtigsten Fastnachtsbräuche ist der Fastnachtsmontag in Schömberg, einer kleinen Stadt am Rande der Schwäbischen Alb. In Schömberg gibt es kein Haus ohne Narrenkleid. Die bunt bemalten Leinenkleider der Fuchswadel und die mit über 70 Metern Wollfransen benähten „Fransenkleidle“ tanzen in der Frühe durch den Ort. Der erste Teil dieses Narrensprungs vollzieht sich ohne Musik. Nur zum Klang der Schellen springen oder besser gesagt tanzen die Narren mit gleichem Schritt zum Marktplatz. Manch einer singt oder pfeift die Melodie des Narrenmarsches. Am Marktplatz steht bereits die Stadtkapelle und beginnt beim Eintreffen der ersten Narren, den Schömberger Narrenmarsch zu intonieren, zu dem die Narren dann weitertanzen. Um 10.11 Uhr dann beginnt eines der reizvollsten und ästhetisch schönsten Spektakel der schwäbischen Fastnacht. Bis zu 800 Schömberger Narren tanzen in ihrem Narrensprung eine prachtvolle Polonaise. „Da Bolanes“, wie der Narrentanz mundartlich korrekt bezeichnet wird, dauert über eine Stunde und hat für die Schömberger Bürger einen unglaublich hohen Identifikationswert. Mehr als vierzigmal erklingt der Narrenmarsch während der Polonaise und brennt sich ebenso wie das viel Tausendfache, rhythmische Geklingel der Glocken und Schellen tief in das Unterbewusstsein ein. Noch Tage nach dem Aschermittwoch spielt sich die Melodie in die Gedanken ein und weckt die Sehnsucht nach der nächsten Fasnet ...
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