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Einheit in der Vielfalt
Beim Europäischen Narrenfest feiern Narren aus elf Nationen in Bad Cannstatt Wulf Wager / Hans Betsch die Fastnachtstraditionen die große Gemeinsamkeit im christlichen Abendland. Fastnacht wird überall in Europa durch Maskentreiben, -spiele und -tänze, durch üppiges Essen, Trinken und Feiern begangen. Erstmals treffen sich historische europäische Fastnachts- und Maskengruppen im Herzen des Landes zum Europäischen Narrenfest 2009 in Stuttgart-Bad Cannstatt. Kernpunkt dieser beispiellosen Integrationsarbeit ist das gemeinschaftsbildende Element, das Ur-Cannstatter und Bürger mit Migrationshintergrund zusammenführen wird. Fastnacht der alten Heimat zu Gast in der neuen Heimat. Über die Hälfte der Bewohner Bad Cannstatts haben ihre Wurzeln in einem anderen europäischen Land. Cannstatt international Bad Cannstatt, Stuttgarts größter und ältester Stadtbezirk, hat 64000 Einwohner, davon 32000 mit Migrationshintergrund – aus 42 Nationen! Nirgendwo in Baden-Württemberg gibt es ähnliche Verhältnisse. Das Zusammenleben funktioniert reibungslos. Denn schon seit langer Zeit ist Bad Cannstatt international. Vor 2000 Jahren suhlten sich die Römer in Westeuropas größtem Mineralwasservorkommen. Sie wollten den heilenden Säuerling aber nicht trinken und brachten stattdessen den Weinbau ins Neckartal. Das internationale Cannstatt war durch die Jahrhunderte meist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, denn die Ausländer waren vorwiegend durchziehende und besetzende Soldaten aus Franken, Ostrich, Sweden ... Sie überfielen und plünderten die alte Stadt am Neckar. Gar blutig ging es 746 zu. Auf Veranlassung des fränkischen Hausmeiers Karlamann waren alle alemannischen Fürsten zu einer Versammlung mit Festmahl geladen, des Hochverrats angeklagt und anschließend hinterrücks gemeuchelt worden. Das war das Ende des alamannischen Herzogtums. Doch die Zeiten änderten sich und die internationalen Gäste wurden gesitteter.
So kamen um 1700 vierhundert reformierte Waldenser. Der französische „Mordbrenner“ General Ezéchiel Mélac belagerte Cannstatt kurze Zeit später, zog dann aber weiter nach Esslingen. Dabei vergaß er zwar das Sengen und Morden, aber seine Soldaten nahmen den gesamten Cannstatter Weinvorrat mit – 3460 Hektoliter! So a Sauerei! 1805 und 1809 war Napoleon in Cannstatt – friedlich. Im Jahre 1812 errichtete ein Schweizer in Cannstatt eine Tabakfabrik. Die anfallenden Arbeiten wurden von Polen erledigt. König Wilhelm I. ließ dann Schloss Rosenstein bauen, und zwar von einem Italiener, seinem Hofbaumeister Giovanni Salucci. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde Cannstatt ein Kurbad von internationalem Rang, das betuchte Herrschaften aus ganz Europa, ja sogar aus Amerika anlockte. Gäste vom russischen Zarenhof und vom englischen Königshaus gaben sich die Klinke in die Hand, Honoré de Balzac vergnügte sich mit seiner Geliebten im Cannstatter Mineralwasser. Seine „Bises de Cannstatt“, Cannstatter Küsschen, sind legendär. Zum Volksfest 1857 reisten zwei erlauchte Gäste an: Napoleon III. und Zar Alexander II. Ob die beiden Achterbahn oder Boxauto gefahren sind, ist nicht überliefert. Sicher ist, dass sie von Wilhelm I. in der Wilhelma bewirtet wurden. Und heute: Der Pressesprecher des Kübelesmarkts hat griechische Wurzeln, der Polizeichef italienische ... Cannstatt international – seit 2000 Jahren.
Integratives Neuland Wenn die Cannstatter Fasnet auch künftig in der Bevölkerung verwurzelt sein soll, dann kommt man an der Integration der ausländischen Mitbürger nicht vorbei, dessen ist der weise Rat der Kübler sicher. Vieles läuft im sozialen Miteinander bei den vielen Festen in den alten Mauern Cannstatts bereits sehr gut. Doch bei der Fasnet gibt es noch Integrationsbedarf. So wurde der Plan entwickelt, traditionelle Narrengruppen aus den Heimatländern der Cannstatter Migranten einzuladen, sie gemeinsam zu betreuen und miteinander zu feiern. Der Wunsch des Cannstatter Traditionsvereins Kübelesmarkt mit seinen rund 600 Mitgliedern ist es, Cannstatts Bürger mit Migrationshintergrund in das Fasnetsgeschehen zu integrieren. Diese Idee wurde von den Zünften der Fasnetslandschaft Neckar-Alb, in dessen Rahmen das Europäische Narrenfest vom 23. bis 25. Januar 2009 stattfinden wird, begeistert aufgenommen und mitgetragen. Der integrative Aspekt ist der völlig neue Gedanke an diesem einmaligen Narrenfest. Gemeinsam mit dem Forum der Kulturen, dem Zusammenschluss von über 250 migrantischen Kulturgruppen und dem Integrationsbeauftragten der Stadt versucht Bad Cannstatts Küblerzunft die Migrantengruppen und die ausländischen Gäste zusammenzubringen und in das Narrenfest einzubeziehen.
Narren treffen Narren Europa ist unglaublich reich an Bräuchen und Traditionen. Großformen die Millionen Menschen auf die Beine bringen und kleine lokale Raritäten – alle sind sie ein Stück regionaler Identität. Und doch gibt es vieles, was über die Grenzen hinaus miteinander verwandt ist, denn die gemeinsame Wurzel ist die Tradition des christlichen Abendlandes. Was hierzuland weinge wissen, ist die enge Verwandtschaft der verschiedenen Maskenbräuche Europas. So ähnelt der Umzug der Busójárás in Mohács in Südungarn dem Treiben der Kurenti in Slowenien und den Hoorigen Bären in Singen am Hohentwiel, während die Faschingsrenner von der Krakau in der Steiermark den Knellern aus dem hohenzollerischen Empfingen verwandt sind. Gerade die traditionellen, fastnächtlichen Maskenbräuche Osteuropas oder Galiziens sind hier bislang völlig unbekannt. Dies zu zeigen und die Gemeinschaft mit den Narren dieser Regionen zu erleben ist ein wichtiger völkerverständigender Aspekt der Integration in der Europäischen Union.
Europa der Regionen Insofern ist das Europäische Narrenfest 2009 in Bad Cannstatt auch ein politisches Bekenntnis zu einem christlichen Europa der Regionen, das Eigenheiten und Traditionen der Regionen und Länder vorstellt, anerkennt und respektiert, aber eben auch die großen Gemeinsamkeiten dieses unglaublich vitalen und formenreichen Festes „Fastnacht“ aufzeigt. Denn die traditionelle Fastnacht eines jeden Ortes aus dem Gäste nach Bad Cannstatt kommen, ist eine kollektive Leidenschaft von Menschen, die Traditionen nicht vorführen, sondern leben. Elf Nationen dabei Vom 23. bis zum 25. Januar treffn sich in Bad Cannstatt 48 traditionelle Fastnachtgruppen aus 11 Nationen um gemeinsam im rauschenden Miteinander eine heimeliges Fest auf den Gassen, in den Gasthäusern und Besenbeizen zu feiern. Mit dabei sind die Basler Trommler und Pfeifer der Spale-Clique, die Schwyzer Nüssler, die Röllelibutzen aus Altstätten, die Muller aus Thaur und Rum in Tirol, die Faschingsrenner aus Krakaudorf und die Flinserln aus Bad Aussee in der Steiermark, die Blancs Moussis aus Stavelot in Belgien, die Mamuthones aus Sardinien, die Rollaten aus Pladen in Venetien, die Maschera su Rocca Grimalda und Dosoledo in Italien, die Caretos aus Portugal, die Fuliónžizien in Spanien, der Strawbear aus Wihittlesey in England, die Kurenti aus Omož und die Skoromati aus Hrusiča in Slowenien, die Zvoncari aus Halubje und die Grobniki aus Dondolaši in Kroatien. Aus Ungarn kommen die Busójárás aus Mohács. Aus Whittlesey kommt der einzige englische Strohbär nach Bad Cannstatt. Der Herbsteiner Springerzug aus Nordhessen und einige Fastnachtsfiguren aus dem fränkischen Altmühltal ergänzen die internationalen Gruppen.
Tanzende Narren Gemeinsam ist fast allen beteiligten Narrengruppen natürlich die Maskierung. Aber auch der Tanz oder die tanzartige Fortbewegung sind ein wesentliches Element der traditionellen Narretei. Das Spektrum reicht von vom monotonen Spreizsprung der sardischen Mamuthones die ihre rund 30 Kilogramm schweren Glocken zum Klingen bringen, über das kraftraubende Springen des Herbsteiner Springerzuges bis zu den Schuhplattlern der Rumer und Thaurer Muller und der prachtvollen Schömberger Polonaise.
www.narrenfest2009.de |
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