Geschichte | Bräuche | Orte | Figuren | Hintergrund | Glossar | Termine | Herstellung | Gedanken | Zeitschrift | Forum | Links |
Wenn der Latschari geholt wird… Ein kurioser Elzacher Fasnetsbrauch von Matthias Kühn Tief im Schwarzwald, im kleinen Städtchen Elzach, wird die Fastnacht – oder besser die „Fasnet“ – noch heute fast genauso begangen wie vor hundert Jahren. In der langen, bewegten Geschichte der schwäbisch-alemannischen Fasnet nimmt die sonst so unscheinbare Gemeinde eine Sonderrolle ein: Hier ist der Schuttig daheim, hier findet das wohl älteste Narrenlaufen statt – und hier wird der Latsch-ari geholt. Was ein „Latschari“ ist, damit tun sich die Übersetzer schwer – wie so oft, wenn es darum geht, ein alemannisches Schimpfwort ins Hochdeutsche zu bringen. Denn was böse klingt, ist oft von ironischer Herzlichkeit. Die Elzacher wissen genau, was den Latschari ausmacht: Er ist gutmütig, ein bisschen trottelig, aber auch schlitzohrig. Und er ist, darauf legen die Einheimischen größten Wert, äußerst freigiebig. Was ein Grund ist, dass sich nicht jeder zum Latschari eignet – und dass viele die eigentlich große Ehre ablehnen.
Still und heimlich geht die Wahl vor sich. Denn schon mancher Auserwählte bekam Wind von seinem Glück und machte sich rechtzeitig aus dem Staub. Einige Elzacher sind an diesem Tag nie im Ort anzutreffen – aus reiner Vorsicht. Denn der Latschari wird nicht einfach nur gefangen ... Trifft man das auserkorene Opfer nicht an, geht es schnurstracks zum Nächsten, den man ausgetuschelt hat. Selbst am Ziel müssen die Fänger noch aufpassen, dass ihnen der neue Würden- und Bürdenträger nicht durch die Lappen geht. Sämtliche Fluchtwege werden abgeschnitten, die Fänger erobern das Haus im Sturm, manchmal wird der neue Latschari direkt aus dem Bett geholt. Dann darf er sich noch notdürftig anziehen, mehr nicht. Ist der Latschari gefangen, wird sofort die restliche Gruppe im „Löwen“ informiert. Die kommt, unterstützt von der Stadt- und Narrenzunftmusik. Sie führen einen mit Stroh ausgelegten zweirädrigen Handwagen mit sich. Inzwischen ist der Latschari vorschriftsmäßig mit dem Narrenseil gefesselt und wartet auf den Abtransport. Aber wer ist es? Außer einer Handvoll Eingeweihter weiß es noch niemand.
Um die Menge zu verwirren, geht der Zug vom „Löwen“ aus niemals direkt zum Haus ihres Opfers. Man wandert behäbig durch Seitenstraßen, man geht sogar auch mal am Haus des längst gefangenen Latschari vorbei, nur um dann wiederzukommen und die Wahl zu verkünden. Nach einem Tusch wird der Neue der Menge präsentiert. Er trägt nun einen Zylinder mit der Aufschrift „Latschari-Vorstand“. Mit dem Narrenseil gefesselt wird er aus dem Haus geführt, da können Frau und Kinder noch so protestieren. Sobald er im Handwagen sitzt, bewegt sich ein wahrer Triumphzug in Richtung „Löwen“. Dort wird er mit großem Trara vereidigt. Zu seinen Ehren erklingen Latscharilied und Fasnetsmarsch, und alle trinken auf sein Wohl. So ist der eigentliche Gewinner dieses Brauches seit jeher der Löwenwirt zu Elzach. Und der Verlierer ist der Gefangene des Tages – denn der zahlt die Zeche. Bei den vielen Narren im Städtchen kommt da einiges zusammen. Kein Wunder also, dass am frühen Morgen des Fastnachtsdienstags eine wahre Fluchtwelle aus Elzach rollt ... Schon um die Mittagszeit wird der Entführte wieder mit einem großen Zug nach Hause gebracht. Denn der Zeitplan drängt: Um Vier am Nachmittag steht ein weiterer Schuttigumzug auf dem Programm, der vierte und letzte. Der neue, unfreiwillige Vorstand hat freilich noch mehr von seiner Wahl, oder besser: von seiner Gefangennahme. Bis zur nächsten Fasnet wird er als die berühmteste Persönlichkeit im Ort begrüßt und zuweilen verspottet. Natürlich kommt sein Name in die lange Ehrenliste von Vorständen, die seit vielen Jahrzehnten geführt wird. Und im Jahr darauf, pünktlich am Morgen des Fastnachtsdienstags, sollte er im Gasthaus „Löwen“ sitzen. Dann hat er ein gewaltiges Wörtchen mitzureden, wer sein Nachfolger wird.
|
||||||||||
|
|
|
|
|
||||||