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Ein Ehebett voll Larven Zu Besuch bei den Casari-Brüdern in Imst von Wulf Wager Imst im Tiroler Oberland – kleine Stadt mit großer Fastnachtstradition. Über 900 Larven werden dort alle drei bis fünf Jahre an der Fast-nacht beim großen Schemenlaufen getragen. Etliche davon sind vom Schnitzer Gerhard Casari mit geübter Hand geschnitzt und bemalt worden. Über den traumhaft verschneiten Fernpass erreichen wir Tirol. Im „Rastland Nassereith“ trinken wir einen Espresso – eigentlich nur, weil dort ein wunderbarer Scheller der Nassereither Fastnacht ausgestellt ist. 15 Minuten später fahren wir zielstrebig auf Imst zu. „Ei, ei, warum vorbei“, steht an einem Hotel in Tarrenz. Für uns ist der Fall klar: Wir wollen zum Schnitzer und Gestalter der Imster Fastnacht, Gerhard Casari. Etwas außerhalb der Stadt erreichen wir das Haus der Casari-Brüder über einen ziemlich steilen Anstieg. Bei Eis und Schnee wol-lten wir da lieber nicht hinauf müssen. Bei der Großen Fastnacht, dem Schemenlaufen, das wir 2009 erlebt haben, waren wir begeistert von der Qualität und Ausdruckskraft der Imster Larven. Wir wollen wissen, wer dahintersteckt. Denn Bräuche brauchen Menschen, die sie gestalten. Und wir wollen zumindest einen davon kennen lernen. Wir werden schon erwartet. Seit sich der 62-jährige Gerhard Casari vor zwanzig Jahren scheiden ließ, lebt er mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Ewald zusammen. „Kauzig“ seien sie, hat einer der vielen Fernsehberichte über die Brüder geurteilt. Doch der Schein trügt. Gerhard ist der Künstler, ein Schnitzer und Gestalter der Imster Fastnacht. Er ist einer, der den Gesichtern Leben einhaucht wie kaum ein anderer, während sein Bruder der Manager und Hausmann ist. Er kocht, putzt, wäscht, verhandelt mit den Larvenkäufern. Und gemeinsam bauen sie Wagen. Dafür hat Gerhard schon viele riesige Figuren geschnitzt. Di kenn i vum Fernsehn. Mir schaua oft Südwescht. Di hon i do schon gseha“, begrüßt mich Gerhard, der Schnitzer. „Jo, jo“, sagt sein Bruder, „di hon mr do scho gseha“. Freudig zeigt uns Gerhard seine sauber aufgeräumte Werkstatt, die sich in der ehemaligen ehelichen Wohnung befindet. Über und über sind alle freien Stellen der Zimmer mit unglaublich ästhetischen, ausdrucksstarken und lebendigen Masken belegt oder behangen. Selbst das frühere Ehebett – das nicht mehr gebraucht wird – ist mit den Masken bedeckt. „Larven“ heißen sie in Imst. Mundartlich korrekt „Lorva“. Dort finden sich die prächtigen und imposanten Schellerlarven mit den breiten, die Larve überschreitenden Bärten ebenso wie die zarten und sanft blickenden Rollermasken. Am beeindruckendsten aber sind die Charaktermasken, die für die Sackner, Labera und Kaminer geschnitzt sind. Halbmasken und bewegliche Masken, die aus drei Teilen zusammengefügt sind und nur aus Augen und Nase bestehen. Trotzdem machen sie den Träger völlig unkenntlich. Nur für die Katze bleibt ein kleiner Platz auf dem Bett. Offensichtlich fühlt sie sich zwischen all den bildhauerischen Kostbarkeiten wohl. Gerhard ist ein spätberufener Schnitzer. Eigentlich hat er den Beruf des Zimmermanns gelernt, verlor aber durch einen Arbeitsunfall ein Auge, sodass er sich etwas anderes als Broterwerb überlegen musste. Im, für eine Ausbildung schon fortgeschrittenen Alter von 40 Jahren, besuchte er also die Schnitzschule in Elbigenalp und erlernte den Beruf des Bildhauers. Dort steht traditionell auch das Maskenschnitzen auf dem Stundenplan. Aber nicht nur das, auch Anatomie und Stilkunde, Proportionslehre und Kunstgeschichte sog der eigenwillige Schnitzer wissbegierig in sich auf. Er schleudert sein mittlerweile profundes Wissen den Besuchern und Käufern seiner Masken geradezu entgegen. Es sprudelt nur so aus ihm heraus, wie ein nie endender Wasserfall. Zu jeder Larve kennt er eine Geschichte. Er redet von der Tiefe der Larve, vom Ausdruck, von der Unterlippe, die weiter zurückgesetzt sein muss als die Oberlippe, und von der Art und Weise, wie er seine Larven mit Öl fasst, also bemalt. Beständig wirbelt er durch die vollständig maskierte ehemalige Wohnung, zeigt Larven hier und dort, führt uns zwischen den Zimmern umher und begeistert sich selbst und seine Besucher für die Qualität seiner Masken. Casari weiß, was er kann und was seine Kunst wert ist. Allerdings hält er von den überzogenen Honoraren schwäbischer, oder besser gesagt: alemannischer „Schnitzergötter“ nicht viel. Aber er hält auch das Kopieren mit der Fräse für verwerflich. Wenn ein anderer Schnitzer seine Larven nachschnitzen will, dann leiht er gern mal eine aus. Aber Kopierfräsen, das geht nicht. Und während Ewald sich eine Zigarette nach der anderen ansteckt, beginnt Gerhard zu schnitzen. Es ist wie ein Gebet, was er da macht. Langsam und bedächtig schabt das große breite Eisen Span um Span von dem groben Holzklotz, der kaum erahnen lässt, dass später mal eine feine Altfrankspritzerlarve daraus wird. Rund und runder wird der Holzklotz. Während eine sorgsam über das lichter werdende Haupt gekämmte Haarsträhne sich der Schwerkraft hingibt und den Anschein erweckt, die Schnitzarbeit genau verfolgen zu wollen, konzentriert sich Gerhard Casari auf sein Werk. Mit einer großen eisernen Stellschraube hat er den hellen und wohlriechenden Maskenblock aus Zirbenholz auf seinem Arbeitstisch festgeschraubt. So kommt er ringsum an die Maske und kann sie bearbeiten und gestalten. Es ist nicht nur ein einfaches Schnitzen einer Figur. Er haucht dem Holz Leben ein. Es scheint, dass ihm das Holz sagt, was aus ihm einmal werden soll, wo die Lachfalten, das Stirnrunzeln, der Tränensack aus dem Holz geholt werden wollen. Jeder Holzklotz scheint mit einen Faust-mäßigen Vertrag für die Bearbeitung durch Casari die Seele an ihn verkauft zu haben. Etwa eine Woche arbeitet Gerhard Casari an einer Larve. Drei Tage braucht er zum Schnitzen und zwei weitere Tage zum Fassen. So macht er etwa 20 Larven pro Jahr. Auch Krippenfiguren und Jesusfiguren verschaffen ihm und seinem Bruder Ewald ein ordentliches Auskommen. Sie sind nie als Scheller und Roller gegangen, die beiden. Aber 25 Jahre lang haben sie an den großen Festwagen der Imster Fastnacht mitgebaut. „Dies Johr isches ’s letscht Mol gwesn. Jetzt moch mr nimmr mit“, sagen die beiden übereinstimmend. Wir wollen es dennoch nicht so wirklich glauben. Eigentlich wollten wir nur auf einen Sprung vorbeischauen, und nun sind es doch gut drei Stunden geworden, in denen uns das wohlig-angenehme Gefühl beschlich, dass wir – soweit das in der kurzen Zeit geht – Freunde geworden sind. Gerhard begleitet uns zum Auto und wünscht uns alles Gute. „Kehrts bold amoll wieder zua! No trinkch mr a Glasl. Mir frein ins.“ Sagt’s und winkt uns wild gestikulierend mit beiden Händen nach, bis wir in der Mitte des Steilhanges um die Kurve biegen und uns gegenseitig aus den Augen verlieren – aber nur vorerst.
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