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Straußpapier und Frauenhaar Fleißige Hände gestalten Wilflinger Narrenkleider von Wulf Wager Rein statistisch betrachtet hat in Wilflingen, dem kleinen, ehemals hohenzollerischen Dorf am Fuße des Lembergs, mindestens jeder Zweite ein eigenes „Narrakload“. Rund 300 Schellnarren- und 200 Teufelshäser sind derzeit im 900-Seelen-Dorf vorhanden. Damit die Schellnarren durch das Dorf jucken und die Teufel ihren rauen Rupfengeruch in den Gassen und Stuben verbreiten können, braucht es helfender Hände, die die Häser herstellen und richten. Es sind keine professionellen Handwerker wie in der benachbarten Fasnetshochburg Rottweil, die die Larven schnitzen, Narrenkleider nähen oder Schellengurte herstellen. Fasnetsliebhaber haben sich wie vor Alters besondere Fähigkeiten angeeignet und fertigen die Zubehörteile eines Wilflinger Narrenkleids. Schnitzen trotz Lähmung Kernstück jedes Häses ist die kunstvolle Holzlarve. Deshalb führt uns der erste Weg zum Maskenschnitzer Edmund Hermle (*1939), der im oberen Stock seines Wohnhauses direkt an der von Wellendingen herführenden Dorfhauptstraße eine kleine Schnitzerwerkstatt eingerichtet hat. Der ehemalige Maurerpolier hat erst 1994 mit dem Schnitzen begonnen, nachdem vorher sein Vater der Larvenschnitzer von Wilflingen war. Rund zehn bis 15 Larven im Jahr schnitzt Hermle aus vollen, gut abgetrockneten Lindenholzklötzen. Dabei bedient er sich einer ungewohnten Technik, denn er schnitzt zuerst eine Gesichtshälfte, schleift sie und konzentriert sich dann auf die zweite Seite. Aufgrund einer Lähmung, die er sich bei einer missglückten Bandscheibenoperation geholt hat, tut er sich schwer, mit beiden Händen gleichzeitig zu arbeiten. Deshalb hat er sich diese Technik angeeignet und auch einige hilfreiche Apparaturen gebaut. Gerade beim Aushöhlen der Larve, dem körperlich anstrengendsten Teil der Schnitzarbeit, kann er damit effizienter und kräftesparender arbeiten. Trotzdem benötigt er für das Fertigstellen einer Maske etwa sieben bis acht Tage, wenn er rund acht Stunden am Tag dranbleibt. „I bin konn so on Profi“, sagt Hermle, der auch für andere Zünfte in der Umgebung schnitzt, fast entschuldigend. Das Fassen übernimmt dann ein Maler.
Gerollte Blumen aus Papier In der Stube der 85-jährigen Maria Amann liegt das Zubehör zur Herstellung des Kranzes, der jede Schellnarrenlarve ziert, schon auf dem Tisch. Früher waren die Blumen einfacher gestaltet. Aber die Wilflinger haben im Laufe der Zeit eine spezielle Technik entwickelt, den filigranen Papierblumenkranz zu gestalten. Kleinste Papierröllchen werden zu einer kunstvollen Kugel zusammengebunden. Die „Bloama“ entstehen in mehreren Arbeitsschritten aus einem großen Bogen „Straußpapier“, das mehrlagig übereinandergefaltet wird. Mit sicherer Hand heftet die rüstige Seniorin eine Pappschablone mit einer Stecknadel auf den Papierstapel und schneidet mit der Schere sauber entlang der Pappe. „So schnied mrs raus. A Stund hätt mer Arbet dra!“, kommentiert sie den Werdegang. „Uwe, bring mr d’ Brilla!“ So ganz sehen die alten, aber wachen Augen die feine Arbeit nicht mehr. Während sie eine Fasnetsanekdote nach der anderen erzählt, schneidet sie strahlenförmig in die Papierlagen. „So drillet mas“, kündigt die Blumenmacherin den nächsten Arbeitsschritt an. Behutsam nimmt sie eines der 40 Blättchen, die für eine Blume benötigt werden, auf die Handfläche und streicht kräftig, aber mit Feingefühl über jedes einzelne Papiersegment, das sich dadurch wie durch Zauberei mimosenhaft zusammenrollt und auch in der Form eines Röllchens bleibt. Am Schluss werden alle 40 gerollten Papierlagen durch einen Draht zusammengefügt und eventuell überstehendes Papier wird gestutzt, sodass eines von Hunderten einzelner Papierröllchen für eine gefüllte, kunstvolle Papierblume entsteht. „Wo i a Mäddle gsi bi, so mit fuffzeah Johr, do hätt mr fuffzg Pfennig kriegt fir en ganza Kranz. Do ischt des viel Geld gsi. So zeah, fuffzeah Kränz hau i ällmol gmachat.“ Bei der Nachbarin hat sich Maria die Fähigkeiten angeeignet. „Beim z’ Liat gau hätt mer des neabahear weng dau. Ma hätt jo konn Fernsäh ghet und nint.“ Zwischen die einzelnen Papierblumen werden an der hergerichteten Larve Asparaguszweige gesteckt: „Frauahoor“, wie es mundartlich korrekt in Wilflingen heißt. Munter erzählt Maria von früheren Fasnets- zeiten, während sie weitere Blumen „drillt“. „Frieher ischt ma nu im Oart gsi, do isch d’ Fasnet ebbes Großes gsi. Do isch mer scho zwoa-, drimol i da Wocha ällmol gi maschgre gsi. Mer hät dia Häuser scho kennt, wo mer guad vrsorget woara ischt. Do hätt mr d’ Maschgere riglau und no hätt mr untr dr Larve ufgsait und no isch des unterhältlich gsi. Und wenn si di kennt hond, hät mr a’deckt!“ Eine Werkstatt wie im Museum Im Nachbarort Schörzingen fertigt der Schuhmacher Arnold Riedlinger die Gschellriemen für den Schellnarren. Die kleine Werkstatt wirkt altertümlich wie ein Museum. Altes Handwerkszeug, längst nicht mehr gebräuchliche Maschinen und Schuhe, die in den 70er-Jahren wohl nicht abgeholt wurden, prägen die kleine Schusterwerkstatt. Hier ist die gute, qualitätvolle Handwerksarbeit noch zu Hause. Das spürt man, das riecht man und das sieht man. Es duftet nach Leder und Kleber. Arnold Riedlinger schneidet mit einem rasierklingenscharfen Messer aus einer großen Tierhaut die Riemen für die Wilflinger Gschelle entlang einer Pappschablone. Sauber reiht er die großen offenen Schellen aneinander und polstert das Leder von hinten mit Schaumstoff auf, damit die drei bis fünf Riemen, die ein Schellnarr um die Mitte trägt, nicht zu sehr am Hüftgold reiben. Schließlich sollen die Narren beim Jucken keine Beschwerden haben.
Die Wilflinger Narren sind die einzigen im ganzen schwäbisch-alemannischen Fasnetsgebiet, die ihre Glocken nicht über der Schulter, sondern um den Bauch tragen. Fasnetsforscher wie Altmeister Wilhelm Kutter und der Freiburger Volkskundler Werner Mezger vermuten, dass die aus Südtirol stammende und für die hohenzollerischen Fürsten Steuern einnehmende Familie Baratti tirolische Einflüsse in die Wilflinger Fastnacht brachte. Handfeste Beweise gibt es jedoch nicht. Die nur über zwei Generationen (1703 bis 1765) in Wilflingen durch Admodiation herrschende Familie war als Steuereintreiber der Hohenzollern nicht gerade beliebt in der Bevölkerung. Mitte des 18. Jahrhunderts kam es gar zu einem Aufstand gegen die Baratti. Zwei Brandstiftungen in den Häusern der Familie Baratti zeugen von deren Unbeliebtheit. 1765 wurde die verhasste Familie von ihrer Pfandherrschaft wieder durch die Hohenzollern abgelöst. Es gibt im Fassatal und in anderen Tälern Nord- und Südtirols traditionelle Fastnachten, bei denen die Glocken auch quer um den Leib gebunden werden. Sonstige Gemeinsamkeiten sind kaum vorhanden. Zwei Monate Näharbeit I bi d’ Maria Reger. Des kennet Sia vo vorna wia vo hinna leasa!“, begrüßt uns die 69-Jährige in ihrer guten, bestens geheizten Stube. Auf ihren Schenkeln liegt schon eine saubere weiße Narrenhose, auf die sie mit flotten Stichen die bunten, kreisrunden Filzblätzle aufnäht. Fein säuberlich setzt sie Stich an Stich und fügt Blätzle zu Blätzle, bis das herrliche Wilflinger Narrenkleid im traditionell korrekten Aussehen erstrahlt. Bis dia ganze Blätzle und dia Stroapfa nagnaihet sind, brauch i guad zwee Monat. Zerscht muass mer dia Stroapfa schniida und no muass ma’s bucka, no muass ma’s nanaiha.“ So beschreibt Maria Reger in kurzen Worten eine lang währende und mühevolle Arbeit an dem Wilflinger Schellnarrenkleid. Heute nimmt man fertige weiße Arzthosen, die vor dem Aufbringen der närrischen Applikationen gewaschen werden müssen, damit sie später nicht eingehen. Der „Mantel“, also die weit über die Schulter reichende Larvenhaube, die um den „Schaggo“ (Spitzhut) befestigt wird, muss zudem noch gefüttert und mit roten Fransen versehen werden. Über 100 Narrenkleider hat die Rentnerin schon hergestellt. Nur einmal hat Maria Reger ein Narrenkleid selbst angehabt, als sie noch ledig war. Die Narretei lebt im Hause Reger. Kein Wunder also, dass ihr Sohn heute im Narrenrat mitarbeitet. |
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