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Carnaval de Bielsa Ein Bergdorf in den spanischen Pyrenäen zelebriert seit Jahrhunderten einen Rustikalen Brauch Text: Matthias Kühn, Fotos: Ralf Siegele Rustikal, roh und mit viel Witz feiert ein Pyrenäenstädtchen Jahr für Jahr eine alte Fastnachtstradition. Der Carnaval de Bielsa lockt auch heute nur wenige Touristen an. So konnte die Tradition bestens bewahrt werden – nahezu unbeachtet von der Welt. Dabei zählt das Bärenfest mit seinem faszinierenden Höhepunkt am Fastnachtssamstag zu den ursprünglichsten und sehenswertesten Veranstaltungen des europäischen Karnevals.
Das Reich der Bären Zahllose Sagen und Legenden ranken sich um den Hauptkamm der Pyrenäen. Dort, wo sich in unwirtlichen Höhen die Grenzlinie zwischen Frankreich und Spanien entlangzieht, war der Handel zwischen den beiden Seiten jahrhundertelang äußerst schwierig. Im Winter war die Nordgrenze Aragoniens – früher ein Königreich und heute eine autonome Gemeinschaft Spaniens – über Monate praktisch geschlossen. Der Schnee lag bis in die Täler des Ebro, die verschneiten Höhen waren nahezu unüberwindbar und galten als das Reich der Bären. Bären gibt es heute wieder, sie wurden vor wenigen Jahren aus Slowenien hier angesiedelt, nicht immer zur Freude der Einheimischen. Bären aber gibt es auch in einem kleinen Ort auf einer Höhe von rund tausend Metern: in Bielsa. Allerdings nur in der Fastnachtswoche – beim Carnaval de Bielsa. Bielsa liegt im Bezirk Sobrarbe, im Norden der Provinz Huesca. Nicht weit entfernt erhebt sich der Pico de Aneto, mit 3404 Metern der zweithöchste Berg auf dem spanischen Festland. Bis 1976 war das aragonische Städtchen im Winter nach Norden abgeschnitten: Wer von Frankreich aus in die Gemeinde mit ihren rund fünfhundert Einwohnern reisen wollte, beispielsweise vom eigentlich nahen, unwesentlich größeren Dorf Arreau, musste über den Hauptkamm des Gebirges fahren. Dann kam der Durchbruch, im Wortsinne: ein Tunnel durch die Pyrenäen. Durch die verbesserte Infrastruktur hat sich ein wenig Tourismus im Ort entwickelt. Immerhin ein halbes Dutzend Unterkünfte hat Bielsa heute zu bieten. Die sind selten ausgebucht, denn viel Verkehr rollt bis heute nicht auf dieser Straße. Aber einmal im Jahr bekommt man vier Tage lang selbst in weiter entfernten Dörfern kaum eines der meist einfachen, günstigen Zimmer. Dann ist Karneval – Carnaval de Bielsa. Alle Zimmer ausgebucht – und dennoch fallen die Touristen kaum auf, wenn der Karneval beginnt. Denn aus den Ortschaften im Umkreis kommen ebenfalls viele Menschen, die natürlich als Einheimische durchgehen. Für Gäste, die mit der schwäbisch-alemannischen Fasnet vertraut sind, kommt die erste große Überraschung mit dem Zeitpunkt des Beginns; denn anders als in Rottweil oder Wolfach ist es tagsüber vorerst völlig ruhig. Erst lange nach Einbruch der Dunkelheit, um neun Uhr abends, startet eine Costillada popular – ein volkstümliches Grillfest mit Brot, Wein und allerlei Leckereien der spanischen Küche. Es geht laut zu, mit rasanter, typischer spanischer Musik – rundum typisch spanisch also, wären da nicht die Temperaturen um den Gefrierpunkt. Der Höhepunkt des Donnerstags schließlich verweist auf kommende Ereignisse: In einem feierlichen Akt wird eine der Hauptfiguren der folgenden Tage ausgestattet und angezogen; der Cornelio wird dem Volke präsentiert. Auf seinen eigentlichen Auftritt aber – und sein tragisches Ende – müssen die Neugierigen noch zwei Tage warten.
Essen und trinken Denn auch am Freitag ist nicht viel los in Bielsa. Hier oben in den Pyrenäen, wo auch die heißesten Sommertage durch die frische Bergluft erträglich werden, wäre Siesta nicht unbedingt notwendig; dennoch liegt das Städtchen um die Mittagszeit in ruhiger Beschaulichkeit. Wiederum muss es erst dunkel werden, bis sich alle um das Grillfeuer versammeln – zu einer neuerlichen Costillada popular. Gut eingepackt gegen die winterliche Kälte essen, singen und tanzen die Menschen, bevor sie sich schließlich ins Warme verziehen: Weiter gefeiert wird dann im Gemeindesaal, bis in den frühen Morgen. Zeit zum Ausschlafen gibt es ausreichend, denn erst nach der Siesta beginnt das Fest am Samstag, dem Haupttag des örtlichen Karnevals. Pünktlich um vier Uhr nachmittags treffen sich alle aktiven Teilnehmer vor der Gemeindehalle. Ganz ruhig ist Bielsa zu dieser Zeit. Schwarz gerußte Trangas Der Start kommt mit einem Schlag – mit dem Glockenschlag um fünf Uhr. Plötzlich beginnt ohrenbetäubender Lärm mit zahlreichen Musikinstrumenten und Geschrei, was zu Gänsehaut bei den Zuschauern führt. Jetzt tauchen auch die eigentlichen Hauptfiguren des Carnaval de Bielsa auf. Vor allem eine Figur zieht alle Gäste in ih-ren Bann: Die bedrohlichen Trangas sollen bei ihrem Anblick alle menschlichen Ur-ängste im Betrachter auslösen. Es sind teuflische Gestalten, die sich darüber ärgern, von den Menschen aus dem Winterschlaf geweckt worden zu sein – und nun furchtbare Rache nehmen wollen. Die Kostüme sind wahrhaft schrecklich: Fell, Haut und Ziegenhörner wurden mit Hanfseilen um die Köpfe der Träger gebunden und zusätzlich mit einem Ledergürtel an der Taille verankert; lärmende Kuhglocken unterstützen die Wirkung. Kein Wunder, dass nicht nur Kindern der Schreck in die Glieder fährt. Auch die jungen Frauen fliehen bei diesem Anblick in ihre Häuser – was aber zur Tradition gehört. Die Gesichter der Trangas sind nicht verdeckt, werden aber nahezu unkenntlich gemacht: Zunächst wird das Gesicht mit Ofenruß geschwärzt. Anschließend wird etwas Mehl in die schwarzen Gesichter geblasen, was den Auftritt zusätzlich unheimlich macht. Dann noch eine Kartoffelscheibe mit eingeritzten Zähnen in den Mund, fertig ist die Verkleidung. In den Kostümen der Trangas, halb Mensch, halb Ziegenbock, stecken ebenfalls traditionell die Junggesellen des Dorfes – auf etwas archaischer Brautschau. Mit dickem Rock, grob kariertem Hemd und verstärkten Wollsocken machen sie sich in Holzschuhen auf den Weg, was mit dem festgezurrten Kopf und der schweren Glocke, die bald schon im Rhythmus des Gehens erklingt, ein gutes Maß an Geschicklichkeit verlangt. Mit langen Knüppeln halten sie sich dabei allzu Neugierige vom Leib.
Eine ebenfalls wichtige Figur ist der Onso, der Bär, um den es eigentlich geht bei diesem ursprünglichen Pyrenäenbrauch. Genau zu dieser Jahreszeit, wenn die här-testen Wintertage vorbei waren, tauchten die Bären nach und nach wieder auf. Sie stellten vor allem für die Schafherden der Berghirten eine große Gefahr dar – kein Wunder also, dass viele alte Geschichten in den Pyrenäen vor allem von Untaten der Bären handeln. Der Onso von Bielsa aber ist in Obhut: Ein Domadoro, ein Tierbändiger, führt ihn an einer eisernen Kette; der Onso geht auf allen Vieren und steckt zusätzlich in einem gewaltigen Heusack, bedeckt mit Schaffell. In diesen Kostümen werden traditionell verheiratete Männer von ihren Domadoros mit Stößen und Schlägen durch die Straßen getrieben, aber auch gefüttert: Die Domadoros tragen einen großen Rucksack voller Verpflegung mit sich. Fell und Heu dämpfen die Schläge, sodass sich die Schmerzen der armen Männer in Grenzen halten. Aber Leid gehört zur Fastnacht – auch in der schwäbisch-alemannischen Fasnet müssen viele der Beteiligten etliche Strapazen ertragen. Was den Carnaval de Bielsa allerdings von vielen Bräuchen z. B. im Schwarzwald unterscheidet: Die Rituale werden zwar auch hier Jahr für Jahr wiederholt, es fehlt aber ein gutes Stück Ernsthaftigkeit, der Spaß steht immer im Vordergrund. Es mag ein Klischee sein, aber südländische Lebensfreude lässt sich wohl doch nicht so leicht in starre Formen gießen.
Das fröhliche Feiern war nicht immer so einfach. Die Diktatur Francos verstand diesen Spaß nicht und verbot den Karneval in den Pyrenäendörfern – wie auch die eigene Sprache Aragoniens, das Aragonisch, das aber heute noch in vielen Dörfern gesprochen wird. Und gefeiert wurde der Karneval trotzdem, unter Gefahren und immer mit der Furcht, dass Spitzel die Teilnehmer anschwärzen könnten, so wie diese ihre Gesichter anschwärzten. Gefeiert wurde, dass die schlimmsten Wintertage endlich überstanden waren und dass nun langsam die Fruchtbarkeit wieder einzog in der Region. Manche Karnevalisten aus Aragonien landeten damals im Gefängnis – auch diese Geschichten tauchen Jahr für Jahr während der Festtage im Dorf auf. Vielleicht sind der zivile Ungehorsam der Francozeit und der damit verbundene Stolz auch Ursachen dafür, dass praktisch alle Bewohner Bielsas an ihrem Carnaval teilnehmen und dass die Tradition so lebendig ist wie vor dem Spanischen Bürgerkrieg.
Zum Tanz mit den Madamas Das Einsammeln der Madamas hat gedauert, es ist Abend geworden. Um acht Uhr werden die Madamas in den Gemeindesaal getrieben – und zum Tanz aufgefordert. Wieder wird bis tief in die Nacht gefeiert, alle sind dabei: die Trangas mit ihren Ma-damas, die Bären mit ihren Treibern. Der Sonntag steht im Zeichen eines gemeinsamen Umzugs, aber wieder wird auf die Dämmerung gewartet. Um fünf Uhr treffen sich alle Teilnehmer und ziehen in ihren Kostümen mit lauter Musik durch die Straßen des Ortes. Es wird, wieder im Gemeindesaal, die längste Nacht des örtlichen Karnevals: Nach Tanz, Musik, Wein und gutem Essen versammelt sich die komplette Gesellschaft im Morgengrauen auf dem Dorfplatz.
Dann wird Cornelio der Prozess gemacht. Der Ausgang ist allen bekannt, die hier stehen und übermüdet vor sich hin frieren. Cornelio ist schuldig – er wird verbrannt. Der Tag ist noch nicht richtig angebrochen, da geht er in Flammen auf. Die Gemeinde atmet auf: Denn mit dem Cornelio verbrennt alles Böse, was der Winter so mit sich gebracht hat. Das Frühjahr kann beginnen – eine Zeit der Fruchtbarkeit, der Wärme und der Freude. www.carnavaldebielsa.com |
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