Geschichte | Bräuche | Orte | Figuren | Hintergrund | Glossar | Termine | Herstellung | Gedanken | Zeitschrift | Forum | Links |
Von gigantischen Festwagen und Käserollern Karneval am Ätna Text und Fotos: Günter Schenk Gut zweieinhalb Stunden dauert der Flug Richtung Frühling, von Deutschland nach Sizilien. Catania grüßt den Gast mit Sonnenschein und 15 Grad plus, auch wenn sich wie immer ein paar weiße Wolken an den Krater des Ätna geklammert haben.
Acireales Karneval ist ein rollendes Straßentheater. Eine Inszenierung für die spätwinterliche Seele, die Tristesse und Kälte leid ist und die große Emotionen sucht, um ihr in den Frühling zu helfen. Grimmige Monster zeigen sich so neben leicht bekleideten Beautys, fantastische und skurrile Gestalten, die nach Einbruch der Dunkelheit im Schein zehntausender Lämpchen noch seltsamer aussehen. Im alten Rathaus verweist der Chef des Festkomitees auf die spätmittelalterlichen Ursprünge des Festes, als niemand den Karneval organisierte, sondern sich das Volk sein Fest noch selbst gab. Erst 1930 waren die ersten Wagen mit Pappmachee-Aufbauten unterwegs, die damals noch von Ochsen gezogen wurden. Richtig perfektioniert aber wurde der Wagenbau erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die närrischen Karossen technisch immer perfekter gestaltet wurden. Heute drehen sich die Figuren auf den Wagen in alle Richtungen,heben oder senken ihre Augenlider ebenso wie Arme oder Beine. Und wie im barocken Theater kommen immer wieder neue Szenerien zum Vorschein, die freilich genauso schnell wieder verschwinden. Bis zu 20 Meter hoch und 12 Meter breit sind diese Festwagen, an denen Hunderte von Handwerkern monatelang werkeln. Männer und Frauen, denen man das Jahr über bei der Arbeit zusehen kann. „Unsere Wagenbauer“, sagt man beim Karnevalskomitee stolz, „gehören zu den besten der Welt.“ Deshalb auch zeigt man die Karossen schon zwei Wochen vor Fastnacht auf ersten Umzügen – und seit einigen Jahren auch an einem Sommerwochenende. Dann stellen Touristen aus aller Welt einen Großteil der Besucher.
Cattafi heißt das nächste närrische Ziel, ein kleines Dorf im Hinterland von Milazzo, dem Tor zu den Liparischen Inseln. Hier, hat man uns erzählt, habe der Karneval ebenfalls eine lange Tradition – eine, die auf den Einfall der Türken Mitte des 16. Jahrhunderts zurückgehe. Touristen verirren sich eigentlich nie hierher, dazu ist die Gegend zu trist, sind die Bauten zu grau. Nur zu Karneval findet der eine oder andere den Weg nach Cattafi. Gegen halb drei soll der Umzug beginnen, doch erst eine Stunde später kommen die Narren langsam in die Gänge. Ein Gendarm sorgt für Ordnung, schleust hin und wieder ein Auto an den Narren vorbei, die unter Akkordeonklängen von San Filippo del Mela nach Cattafi ziehen. „Scacciuni“ heißen die närrischen Helden hier. Weiße Narrenkleider tragen sie und hohe weiße Hüte, an denen bunte Bänder hängen. Figuren, die auch aus der schwäbisch-alemannischen oder alpinen Fastnacht stammen könnten. In den Augen der Einheimischen verkörpern sie die Türken, welche die Bauern hier einst mit Dreschflegeln gleich nach deren Invasion vertrieben hätten. Wahrscheinlicher freilich ist, dass sich hier ein alter Karnevalsbrauch erhalten hat, wie er sonst in Sizilien längst ausgestorben ist: ein närrischer Hochzeitszug, wie man ihm vom Balkan bis ins Baskenland an den Tagen vor Aschermittwoch begegnet. Und wie überall steht auch hier die Welt kopf, kommen die Männer in Frauenkleidern, tragen die Frauen stolz ihre aufgeklebten oder aufgemalten Bärte. Zwei Bewaffnete führen den Zug an. Gelbe Mimosen stecken im Lauf ihrer Gewehre, Blumen wie bei den rheinischen Karnevalsgarden. Ab und zu werden Konfettisalven gefeuert, zieht die närrische Gesellschaft von einer zur nächsten Kneipe. Fast ganz ohne Zuschauer kommt man hier aus, ist Fastnacht kein Event oder eine Sache zum Staunen, sondern traditionell gelebter Alltag.
Der große Umzug ist diesmal ausgefallen, der Aufmarsch der Wagen nach Acireales Vorbild. Dem Karnevalskomitee, erfahren wir, fehle das Geld zum großen Feiern, die Stadt müsse sparen. Die Narren mit den angeblich schönsten Karnevalskostümen Siziliens aber lassen sich ihren Spaß nicht verderben. Statt in Misterbianco sind sie diesmal beim Umzug in Acireale unterwegs, der in der Nacht zum Aschermittwoch mit einem großen Feuerwerk endet. |
||||||||||||
|
|
|
|
|
||||||||