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Ich suche die Fastnacht
Ein Essay

von Rainer Domfeld


Samstagabend, irgendwo im „Ländle“, an einem Jubiläumswochenende einer Narrenzunft. Ein Narrendorf ist entstanden. Da steht es, Zelt an Zelt. Gut, man hätte sich schon etwas mehr Mühe geben können, einfach nur Zelte. So gesehen könnte dieses Zeltdorf zu jeder Jahreszeit dort stehen. Ich denke, wäre das doch schön, wenn man dieses Zeltdorf nach Thema gestaltet hätte. Da käme doch echte Atmosphäre rüber. Klar, das macht Arbeit, aber man hätte irgendwie das Gefühl, mehr von „Brauch“ als von „Event“ umgeben zu sein. Aus den großen und kleinen Zelten tönt überlaute Bumbum-Musik hinaus auf den Festplatz. Besucher wie auch Hästräger stehen auf Tischen und Stühlen. Vermutlich üben sie das vielfach angepriesene Gemeinschaftsgefühl, das es eben nur an Fastnacht gibt.

Foto: Wulf Wager





Einige Besucher sind verkleidet, andere angezogen wie immer. Einige Hästräger sind in komplettem Häs erschienen, andere gleich ohne Maske und Narren­utensilien. Einige tragen offene Handwerkerwesten über dem Häs. Trinkbecher und sonstige Dinge hängen daran. Sind das die Narrenutensilien unserer Zeit? Ich stelle zwangsläufig fest, dass hier nicht die Verkleidung die wichtigste Rolle spielt, sondern die bizarren Accessoires und der Alkohol das Entscheidende sind.

In den Zelten sind die meterlangen Theken- und Barbereiche unübersehbar. Über diesen Bereichen hängen die Angebotslisten der Getränke. Natürlich überaus groß geschrieben. Von Ficken bis Wodka-Bull. „Bei Abnahme von zehn Stück zwei dazu!“ Die Getränke laufen sehr gut. Ich denke, müssen/sollten die nicht damit rechnen, dass hier Familien mit Kindern durchkommen? Fastnacht als Erlebniswelt für alle?

Echte handgemachte Musik? Fehlanzeige! Stimmungsschlager? Fehlanzeige! Altersdurchschnitt zwischen 15 und 35 Jahren. Wo sind die anderen, die Älteren. Aha, gefunden. In der Festhalle! Sie sehen sich das Programm des Zunftabends an. Programmreihenfolge: Showtanz, Guggenmusik, Showtanz, Guggenmusik, Gardetanz, Guggenmusik! In der Reihenfolge bis ein Uhr. Wieso nennen sie die Veranstaltung eigentlich Zunftabend? Wo ist die Zunft? Aber was entdecke ich auch hier? So wie jede Kirche in einem fremden Ort für den christlich Gläubigen ein gewisses Heimatgefühl erzeugt, so steht in dieser Festhalle auch ein überdimensionaler Thekenbereich. Tja, Heimatbegriffe sind austauschbar, Werte nicht!

Foto: Ralf Siegele




Ist das die Fastnacht,
die ich suche?

Im Ort gibt es fünf Gasthäuser. Zwei davon haben auf. Der „Grieche“ und der „Türke“. Die deutschen Gasthäuser haben heute geschlossen. Man weiß ja, warum. Immer die Sauerei in den Gaststuben. Komisch, beim „Griechen“ und beim „Türken“ sitzen die mittleren und älteren Semester. Alle verkleidet, teilweise Hästräger. Was auffällt: sie haben ihr komplettes Häs dabei. Einige tragen sogar die Maske vor dem Gesicht und treiben ein regelrechtes Spiel mit den übrigen Besuchern. Meine Herren, wie schön das doch sein kann!

Sie ziehen unweigerlich die Blicke der anderen auf sich. Ein anderer hat seine „Quetsche“ (Ziehharmonika) dabei. Man singt Lieder, die alt sind, sehr alt, aber jeder kennt die Texte. Sogar der Türke hat sich zwischen zwei Fastnachtsnarren zum Schunkeln eingehängt. Ich meine sogar zu erkennen, dass er in etwa seinen Mund zum tatsächlichen Liedertext synchron bewegt. Schunkeln kann der Türke auf jeden Fall ausgezeichnet, das muss man ihm lassen.

Foto: Ralf Siegele


Tolle Atmosphäre!

Eigentlich wollte ich nur mal kurz reinschauen, hatte keine große Lust auf Fastnacht, nun bin ich mittendrin. Von wem ich die beiden Weinschorle bekommen habe, die plötzlich auf dem Tisch vor mir stehen, weiß ich nicht.

Einer, den ich nicht kenne, zeigt auf mein Glas und hebt im Gegenzug seines zum Zuprosten. Ein anderer schmettert mit völliger Hingabe den alten Narrenspruch seiner Zunft. Ein bisschen undeutlich, er trägt seine Maske vor dem Gesicht. Der Text lautet in etwa so: „De Bäck, de Bäck, der hätt zu kleini Weck. Un sini Frau, die Agath, die hätt ä Arsch wie ä Wagerad!“ Schlimm war es auf keinen Fall, denn alle Frauen applaudieren mit. Na dann Prost!

Ach übrigens:
Im Gasthaus des Türken gibt es keine Sauerei zum Aufräumen.
Es gibt nur eine wundervolle Stimmung.

Ist das die Fastnacht,
die ich suche?

Hm, gar keine so einfache Frage, wenn man sie objektiv beantworten möchte.
Mensch, wie war das so um die 20 rum bei mir? Es war Pflicht, das vollständige Häs zu jeder Veranstaltung mitzunehmen. Diese Pflicht war auch für jeden selbstverständlich. Man stelle sich vor, es fehlten die Maske, Handschuhe, Hexenbesen oder Klimberschell? Man hätte sich wie eine halbe Hexe oder wie ein halbes Spättle gefühlt. Und wie viele Runden Weinschorle hätte den Hästräger dieses Fehlen gekostet, die er als Strafe hätte ausgeben müssen? Der Abend wäre sehr teuer geworden.

Foto: Ralf Siegele


Hat es dir in der Festhalle nicht gefallen,
so bist du mit Gleichgesinnten um die Häuser gezogen. Zum Schnurren und Schnaigen! Natürlich mit dem „Gsicht“ vor dem Gesicht. Das hat Spaß gemacht. Und da waren die Lieder von Major Tom bis Marianne Rosenberg. Lieder, die interessanterweise heute noch die Stimmung hochfahren, wenn sie gespielt oder gesungen werden.

Suche ich vielleicht meine Fastnacht von früher, weil ich mich in der heutigen nicht mehr zurechtfinde? Nein, das nicht! Fastnacht lebt von Elementen wie Gemeinschaftsgefühl, Verkleidung, Dynamik, Euphorie ... und Stille! Stille an Fastnacht, wie? Falsch ausgedrückt, oder? Nein, zwischen allen lauten und unbändigen Elementen der Fastnacht liegt die Stille immer irgendwo dazwischen. Zwischen den vielen Menschen an den Veranstaltungen. Vielleicht in einem Moment, alleine vor der Festhalle? Auf dem Heimweg? Fastnacht dualisiert eindeutig. Himmelhoch jauchzend und tief sentimental. Dazwischen gibt es nicht viel. Verdammt gut, dass ich diese Gefühlsachterbahn nur über einen festgesetzten Zeitraum erleben kann. Ich durchlebe mich neu. Eigene Gedanken und Gefühle von „unglaublich“ bis „besser nicht“ wechseln sich bei mir ab.

Ist das die Fastnacht,
die ich suche?

Oder, wie wäre es mit einer Fastnacht, an der alle gemeinsam feiern? Jung, Mittel und Alt? Man könnte den jungen Menschen erlebbar aufzeigen, wie schön die Fastnacht mit alten Fastnachtsschlagern und gemeinsamem Schunkeln sein kann. Vielleicht sogar, wie man wieder zusammen tanzt? Und die jungen Menschen könnten den mittleren und älteren Fraktionen tatsächlich beweisen, dass alte Traditionen in der Zukunft Bestand haben können. Müssen es immer separate „Jugendghettozelte“ sein? Haben wir keine Ideen mehr für ein Miteinander?

Wie das gehen kann?

Wir müssten unsere heutige Fest- und Feierkultur ändern. Fastnacht als gemeinsame Erlebniswelt. Qualität vor Quantität! Dieser Schritt bedarf Mut, sicherlich! Wenn wir aber nicht irgendwann damit beginnen, in diese Richtung zu gehen, wird aus „unserer Fasnet“ ein „Event“ wie viele andere.

Denken wir einmal darüber nach!

Foto: Ralf Siegele



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