Droht der Fastnacht das Aus?
Ein Gespräch mit Günter Schenk, dem neuen
Kulturpreisträger der deutschen Fastnacht,
über die Zukunft des Festes
Das Interview führte Wulf Wager
Ist die Fastnacht noch zeitgemäß? Diese Frage beantworteten bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach nur noch 65 Prozent der Befragten mit einem uneingeschränkten Ja. Droht dem Fest also wie Schlecker oder Neckermann irgendwann das Aus – oder kann es als Marke künftig neu punkten? Der amtierende Kulturpreisträger der Deutschen Fastnacht, Günter Schenk ist optimistisch.
Woran liegt es, dass die Fastnacht offensichtlich an Faszination verloren hat?
In erster Linie sind wir alle daran schuld! Wir haben es nicht verstanden, junge Menschen dafür zu begeistern, dass Fastnacht mehr ist als eine große Party. Vor allem aber haben wir stillschweigend Entwicklungen zugesehen, die das Erleben der Fastnacht nicht gerade befördern.
Was meinen Sie damit?
Kostümierung war ja einmal das Privileg der Narren. Heute ist Verkleiden ganzjährig Mode geworden. Das gilt für die zur Schau getragene Tracht auf den immer mehr werdenden Oktoberfesten im Land ebenso wie für das Grusel-Outfit zu Halloween. Immer schicker wird es auch, zu Betriebsfesten, Geburtstagsfeiern oder sonstigen Anlässen verkleidet zu erscheinen. Und auch auf den immer mehr werdenden Mittelaltermärkten sind die kostümierten Besucher heute vielerorts in der Mehrheit. Der kopierte Mummenschanz bedroht so die originäre Fastnacht.
Sie meinen, die Fälschung verdrängt das Original?
Die eben skizzierten neuen Erlebniswelten sind weitgehend künstlich und nicht wie die Fasnet historisch gewachsen. Genau betrachtet sind es postmoderne Scheinszenarien, in denen der Mensch in der Regel zahlendes Objekt ist, kein bewusst und selbst handelndes Subjekt wie in der Fastnacht. Diesen Unterschied gilt es, sich immer wieder klar zu machen. Wir dürfen Fastnacht nicht als Event begreifen! Ich sehe mit großer Sorge, wie immer mehr Narrenvereine die Organisation des Festes, von der Sitzung bis zum kompletten Umzug, Eventagenturen übertragen, also professionellen Veranstaltern, die mit großteils professionellen Akteuren dann professionelle Shows auf die Beine stellen. Das aber kann nicht die Zukunft der Fastnacht sein!
Sondern?
Fastnacht ist immer an den Menschen gebunden, nicht an seinen Geldbeutel. An ein eigenständiges Individuum vor allem, für das in unserer Gesellschaft kaum noch Platz zu sein scheint. In den Medien taucht der Mensch nur noch als fremdbestimmter Zeitgenosse auf: als Konsument, Patient, User, Versicherter, Verkehrsteilnehmer. Der Mensch als Mensch jedenfalls wird kaum noch wahrgenommen. Das gilt vor allem für die neuen Netzwerke, die zwar anderes vorgaukeln, aber einzig und allein wirtschaftliche Interessen haben. Was uns da gern als große Gemeinschaft mit weltveränderndem Charakter offeriert wird, ist nichts anderes als eine geschickt gelenkte und für den Einzelnen kaum durchschaubare Form einer neuen Massenmanipulation. Ganz im Gegensatz dazu sehe ich die Fastnacht.
Das müssen Sie erklären!
Mehr als jedes Event und jeder Internetchat vermittelt das Fest ein Gefühl der Gemeinsamkeit. Richtig gefeiert stillt die Fastnacht für mich eine alte und neue Sehnsucht nach Nähe, Gemeinschaft und Geborgenheit. Nach jenen Werten, wie sie mit Facebook oder anderen sozialen Netzwerken auch im Internet am meisten nachgefragt sind. Das buchstäblich hautnahe Du aber wird in den modernen Erlebniswelten kaum noch gefordert. Ganz anders in der Fastnacht! Hier heißt es: sich einlassen auf ein reales Gegenüber, was für viele Menschen auch bedeutet, gegebenenfalls Ängste abzulegen.
Was heißt das für die Vereine oder die nicht organisierten Narren?
Wir müssen lernen, mit unserem närrischen Erbe umzugehen. Das ist keine Masse zum Verschleudern. Natürlich können wir alles beim Alten lassen, jeden Reformwillen ignorieren. Dann aber, sage ich als Kulturpreisträger der Deutschen Fastnacht, müssen wir uns auch im Klaren darüber sein, nicht mehr Vertreter eines Volksfestes zu sein, sondern Interessenswahrer einer wie auch immer gearteten folkloristischen Veranstaltung. Ein Volksfest wie die Fastnacht aber lebt von den Menschen, von Menschen, die Wandel nicht nur als Bedrohung sehen, sondern oft, jedenfalls immer häufiger, als einzige Chance zum Überleben.
Wird die Eurokrise auch die Fastnacht beeinflussen?
Ja, aber im positiven Sinn. Die Zeiten des Wachstums sind vorbei. Fastnacht aber ist kein Fest, das immer größer werden muss – sondern besser. Natürlich muss unsere Fastnacht wachsen, doch sie braucht ein Wachstum, das nicht Mitgliederzahlen und Umsätze diktieren, sondern Kreativität – und mehr noch – die Nähe zu den Menschen. Und wenn Fastnacht von Menschen lebt, müssen wir deren Seele berühren, um sie dauerhaft für das Fest zu gewinnen. Das geht am besten über ihre Sprache, den Dialekt, ihre Lieder und Tänze, ihre Kultur. Fastnacht ist ja kein global organisiertes Massenspektakel, sondern ein lokales Rollenspiel, an dem jeder teilhaben kann. In diesem Zusammenhang gehören zum Beispiel auch die Narrentreffen auf den Prüfstand.
Aber die fördern doch Kontakte und Freundschaften?
Vielleicht bei den abendlichen Treffen in den Wirtschaften oder Zelten, nicht mehr aber bei den Umzügen, wo die letzten Gruppen anreisen, wenn die ersten schon wieder in Bus oder Zug steigen. Mit Fastnacht hat das nichts zu tun, das sind folkloristische Spektakel. Wenn ein Da-Bach-Na-Fahrer, um nur ein Beispiel zu nennen, in seinem Zuber durch Konstanz rennt, wissen die Menschen am Bodensee in der Regel doch gar nicht, was es mit der seltsamen Maskerade auf sich hat. Gelebte Fastnacht sieht anders aus!
Was halten Sie von den Übertragungen von Narrentreffen im Fernsehen?
Da kann ich nur auf die Einschaltquoten verweisen, die inzwischen nicht gerade rosig sind. Ich glaube, auch die Zuschauer haben inzwischen erkannt, dass die Übertragungen im Fernsehen mehr einem Schaulaufen für die Kameras gleichen als einem wie auch immer gearteten närrischen Spiel. Zudem verstärkt sich mein Eindruck, dass die Fernsehmacher – auch wenn sich Werner Mezger immer wieder tapfer müht, wenigstens ein wenig Sinn des Ganzen zu vermitteln – den Mummenschanz nur noch als Kulisse für mehr und mehr Quiz-Spielchen oder irgendwelchen Internetfirlefanz nehmen. Für Kinkerlitzchen, die meiner Meinung nach der Fastnacht auf Dauer mehr schaden als nutzen.
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