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Die große Fastnachtsschlacht Entroido im galicischen Laza Text: Wulf Wager Fotos: Ralf Siegele Eine robuste Bergkette trennt das nordspanische Galicien vom Rest des Landes. Irgendwie scheinen sich die Galicier auch nicht so richtig zu Spanien gehörig zu fühlen. Das raue Gebiet im Nordwesten der iberischen Halbinsel ist sehr ländlich geprägt. Arrogante Spanier bezeichnen die Region als ärmlich. Und in der Tat, die Dörfer bluten aus. Viele Bewohner ziehen mangels beruflicher Perspektiven in die Städte – oder wandern nach Argentinien aus, wo angeblich mehr Galicier leben als in Galicien selbst. Doch wenigstens einmal im Jahr kehren die Menschen zurück. Dann ist Entroido, Fastnacht. Es sind wilde, schmutzige Tage. Tage, an denen die Seele Galiciens zum Vorschein tritt. Und die Galicier sind stolz auf ihre Tradition. Folgen Sie uns nach Laza.
Es ist der Morgen des Fastnachtssonntags. Paco steht kerzengerade, denn seine Mutter hilft ihm dabei, die breite Schärpe fest um den Bauch zu wickeln. Je fester, desto besser, denn darauf wird der rund zwölf Kilogramm schwere Gürtel mit den handgetriebenen langröhrigen Schellen gebunden. Schon vorher hat sich Paco in ein weißes Hemd, in weiße Strumpfhosen und eine über und über mit Bommeln besetzte weiße kurze Hose geworfen. Die obligatorische Krawatte darf nicht fehlen, bevor eine kurze Jacke im Stil der Toreros über die Schultern gelegt wird und ein seidenes, besticktes Schultertuch den Abschluss bildet. Jeder Quadratzentimeter dieses herrlichen Gewandes wurde von Hand gearbeitet. Nur wenige verstehen sich noch auf die alten Techniken. Krönung des Ganzen ist die aus Birkenholz gefertigte blasse, grinsende Maske, die eine übergroße mitraartige Kopfbedeckung mit Tiermotiv ziert. Die närrische Waffe des Peliqueiros ist eine kurzstielige Lederpeitsche.
Die Seele der Kultur Peliqueiro zu sein ist ein sehr anstrengender Job, aber für viele junge Männer aus der Gegend überwiegt der Stolz, eine einzigartige Tradition aufrechtzuerhalten. Andererseits ist es nicht billig: Allein die handgemachten Glocken kosten ihre 300 Euro, eine Stange Geld in einer Gegend, wo es wenig Arbeit gibt und viele Menschen emigrieren müssen. Die Kleidung nähen, besticken und stricken die Mütter, Tanten oder Großmütter für ihre Jungen; auf die Masken haben sich ein paar Freizeithandwerker spezialisiert. Ab und zu verschwinden die Peliqueiros in einem Haus. Es ist für die Bewohner eine große Ehre, wenn sie Besuch von den Maskierten erhalten. In den Häusern erklingen nun die alten, mehrstimmigen Fastnachtslieder. Die Frauen haben schon Getränke bereitgestellt, denn ohne sie läuft die Stimme nicht. Auch der Dulce Bica, der traditionelle Entroido-Kuchen, wird den Peliqueiros überall gerne gereicht. Lange war dieser Brauch, der Entroido, verboten, denn das Franco-Regime befürchtete politische Umtriebe im Schutz der Maske. Aber auch die lange Zeit der Diktatur konnte die stolze Tradition der Galicier nicht brechen. „So lange wir das tun, bleiben unsere Seelen voll“, sagt Paco und fügt hinzu: „Peliqueiro ist keine Verkleidung, es ist eine Notwendigkeit!“ Sein Vater nickt dazu mit dem Kopf. Er erinnert sich an die Zeiten, als sie ihren Brauch nur heimlich im Wald ausüben konnten, um nicht verhaftet zu werden. Und nun, so gibt er zu bedenken, hetzt halb Spanien weg vom kulturellen Erbe. Während der globalen Fortentwicklung wird im Entroido nur noch Nostalgie und Unterhaltung gesehen. „Aber es ist mehr“, sagt Nieves, „es ist die Seele unserer Kultur.“ Den Ursprung des Peliqueiros mit seiner einzigartigen Stilmischung kennt niemand genau. Parodien auf Steuereintreiber aus dem 16. Jahrhundert, vorchristliche Symbolik und Heidenkult, Gottesleugner – es gibt viele Theorien, aber keine Sicherheit, wie so oft bei den Bräuchen in Galicien.
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. In diesem Fall in Form von Flecken auf alter Kleidung, die selbst moderne Waschmaschinen nicht rein bekam. Fastnächtliche Befleckung vergangener Entroidos. Der Montag ist der wildeste und zugleich schmutzigste Fastnachtstag in Laza. Alle Regeln des Anstands scheinen außer Kraft gesetzt. Schmutz, Alkohol, Blasphemie, zur Schau getragene Sexualität – all das vereint dieser Tag. Kostümierte oder in alte, befleckte Kleider gewandete Menschen sammeln sich in der Dorfmitte. Man trinkt vorher noch schnell einen Kaffee in der Bar oder raucht eine Zigarette. Offiziell ist das Rauchen in Kneipen verboten, aber heute kümmert das keinen.
Genauso schnell wie das Treiben begonnen hat, ist es auch vorbei. Übrig bleiben Gestalten, die vor Dreck starren. Die Glücklicheren haben nur leichte Spritzer an der Kleidung abbekommen – andere können vor lauter braunem Matsch im Gesicht kaum noch aus den Augen schauen. Vergnügen hat es offensichtlich trotzdem allen Anwesenden bereitet. Wer jedoch meint, das wäre schon alles, was Laza zu bieten hat, der irrt gewaltig. Das wirkliche Spektakel beginnt erst bei Abenddämmerung. Es herrscht Kriegszustand. Als ob matschige Lappen nicht genug wären – jetzt kommen härtere Sachen zum Einsatz in dem närrischen Gefecht. Die Straßen sind überfüllt. Dicht an dicht stehen die dreckigen Körper der Menschen. Zuerst kommt der Esel. Auf ihm, dem törichten Tier zu reiten, sei eine Ehre, sagt Paco. Es ist aber eine höchst zweifelhafte, denn der Reiter oder die Reiterin bekommt die beherzten Schläge mit Stechginster besonders häufig zu spüren, und eine Extraportion Ameisen ist bereits für ihn oder sie reserviert.
Stechginster und Ameisen, das sind die biologischen Waffen in der nun folgenden Schlacht. Eine Mehlkanone fährt über die Praza da Picota, den zentralen Platz Lazas, und taucht alles in weißen, undurchdringlichen Nebel. Man kann selbst die Hand vor Augen nicht erkennen. Für Schaulustige und Touristen ist es jetzt zu spät für die Flucht. Ohne Erbarmen schlagen die Stechginsterträger mit meterhohen Wedeln auf die Menge ein. Als reiche das noch nicht, greifen Kostümierte in Plastiksäcke, in denen ein Ameisen-Erde-Gemisch aufbewahrt wird, das kurz vor dem Einsatz noch mit Essig übergossen wird, „damit die Ameisen auch schön beißen“, erklärt uns Paco spitzbübisch grinsend. Wasserspritzende Bürger von Laza sorgen dafür, dass sich das Mehl und die daran festgeklebten Ameisen nicht so leicht abwaschen lassen. Eine Katastrophe? Nein, ein Riesenspaß – finden wenigstens die Menschen in Laza. Tatsächlich ist es wohl die Darstellung der Ausgeburt der Hölle, die den warnen soll, der ein lasterhaftes, gottloses Leben führt. Der Fastnachtsdienstag ist der letzte Tag des Entroidos. Es wird viel Schweinernes gegessen, und man lässt sich viel Zeit für das üppige Schmausen. Es ist ja schließlich der Tag vor dem Beginn der Fastenzeit. Schweinswurst, gekochter Schinken, Schweineschwanz, geschmortes Schweinefleisch, hausgemachter Wein und selbstverständlich Dulce Bica, der biskuitähnliche Fastnachtskuchen. Der Höhepunkt des Tages ist am Abend die Verlesung des Testamento del Burro, des Testamentes des Esels, einer Art Fastnachtspredigt, bei der die Torheiten der Bürger Lazas zum Besten gegeben werden. In gereimter Form werden Politik, Eitelkeiten und Narrheiten glossiert. Doch zuerst stürzen sich rund 85 Peliqueiros auf die Praza da Picota. Anschließend zieht auf einem Esel reitend der Testamentero auf den Platz. Sobald er das vorbereitete Mikrofon erreicht, setzen die Peliqueiros ihre Masken ab, und alle verstummen, lauschen. Gesichter röten sich und entspannen sich beim nächsten Gelächter wieder, denn niemand wird bei der Verlesung verschont. Ein Fackelzug mit dem Entierro de la Sardina, dem Begräbnis der Sardine, bildet den Schlusspunkt des Entroidos von Laza. Es ist das symbolische Ende eines Ausnahmezustandes. Unter Wehklagen und dem Klang eines einsamen Kuhhorns geht der Entroido – der Anfang – seinem Ende zu. |
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