Geschichte | Bräuche | Orte | Figuren | Hintergrund | Glossar | Termine | Herstellung | Gedanken | Zeitschrift | Forum | Links |
Wenn Männer die Schellen rühren
Fosanachtstreiben am Unsinnigen Donnerstag in Mittenwald Text & Fotos: Wulf Wager Mittenwald ist seit Jahrhunderten die Stadt des Geigenbaus. Aber in den Fastnachtstagen spielen die Streichinstrumente nur die zweite Geige. Da geben andere Instrumente den Ton an, erfüllen ungewöhnliche Klänge die Gassen und Plätze. Der Ort wird zur Bühne einer verkehrt-verrückten Welt. Schellenrührer, Vor- und Umläufer, Hexen, Beserer, Plutarchen, Pfandlzieher, Jacklschutzer, Unterberger Mandln, Goaßbock, Bär und Bärentreiber, Mohren und das Muihradl bestimmen den traditionellen Fasching im Werdenfelser Land. Kein Wunder, dass Mittenwald das Zentrum der bayrischen Larvenschnitzkunst geworden ist: Man pflegt die Narretei und kennt sich bestens mit Holz aus. Deshalb kann man hier an den närrischen Tagen besonders viele alte Larven sehen. Aber Vorsicht: Es gibt Künstler, die neue Larven schnitzen und fassen, die von den alten nicht zu unterscheiden sind. Einer davon – manche sagen, er sei der beste – ist der Holzbildhauer Walter Reiser.
Maschkera in den Gunglstuben
Gunglstuben in den Gasthäusern. Die Maschkera ziehen dabei von Wirtshaus zu Wirtshaus und treiben allerhand Schabernack. Der Begriff Maschkera kommt aus dem Italienischen (maschera = Maske). Früher ging man in die Spinnstuben, heute maschkert man in Ermangelung derselben in den Wirtshäusern. Es wird musiziert – alpenländisch – und es wird gesungen und gejodelt – ebenfalls ganz nach der Tradition. Man geht montags, dienstags, donnerstags und manchmal sonntags. Nicht aber am Mittwoch, Freitag und Samstag, den sogenannten halbheiligen Tagen, da geht man nicht – so will es der Brauch. Man geht immer verkleidet und vor allem verlarvt.
aus Haus Nummer 1 Erst eine halbe Stunde vor zwölf Uhr füllt sich der Obermarkt ganz langsam mit Zuschauern. Alle erwarten sehnsüchtig den Aufzug der Schellenrührer. Die haben sich bereits im Haus Nummer 1 versammelt, so wie das seit Urgedenken der Brauch ist. Es sind 14 Männer. Sie tragen die klassische oberbayrische Tracht mit den Haferlschuhen, handgestricktenweißen Kniestrümpfen, der kurzen Lederhose, einem weißen Hemd, Seidenkrawatte, bestickten Hosenträgern, einem weißen Tuch als Larvenhaube und dem grünen Hut mit Adlerflaum. Das Hauptaugenmerk lenkt aber automatisch die Larve auf sich, die meist einen wuchtigen Schnauzbart und einen grimmig-ernsten Gesichtsausdruck zeigt. Große weiße Augäpfel blicken starr mit unnachgiebiger Strenge unter den aufgemalten Augenbrauen auf den Betrachter. Um den Bauch trägt der Schellenrührer einen breiten Ledergurt, bei dem über dem Gesäß vier große Ochsenschellen angebracht sind, die der Schellenrührer durch das majestätische Hupfen zum Klingen bringt. Damit dies synchron geht, zeigt der Vorläufer mit seinem reisigumflochtenen Bogen den Rhythmus an. Der Vorläufer wie auch der Umläufer, der den Schellenrührern durch ständiges Umkreisen Platz schafft, trägt ein weißes Gewand, das über und über mit wertvollen Seidentüchern in Weiß und Hellblau besteckt ist. Den Kopf ziert ein mit weiß-blauen Bändern aufgeputzter Spitzhut. Ihre Larven blicken im Gegensatz zu denen der Schellenrührer freundlich, fast weiblich zart drein. Klassische Eleganz und ausnehmende Zartheit verleihen der Larve eine ästhetische Anmutung. Über eine Stunde dauert es, bis jede der beiden exponierten Figuren aufgeputzt ist.
So hupfen sie also aus Haus Nummer 1 über den Obermarkt und verschwinden schon bald im ersten Gasthaus. Zwölf Schellenrührer sind es – für jeden Monat einer, sagt man in Mittenwald. Der Aufzug der Schellenrührer ist aber erst der Beginn des Umzugs einer ganzen Heerschar von Maschkera. Nur noch von Ferne klingen die Schellenrührer, als sich das Muihradl fertig macht. Sechzehn weiß gewandete Männer mit buntem gehäkeltem Pferdefliegenschutz als Gesichtsvermummung stehen schon in den Startlöchern, um einen Baumstamm mit rasantem Tempo durch die Stadt zu ziehen. Auf dem Stamm sind zwei Wagenräder montiert, in deren Mitte jeweils ein Tannenbäumchen steckt. Daran halten sich zwei Maschkera fest, die zentrifugal um die Bäumchen gewirbelt werden. Schwindelfreiheit ist absolute Grundvoraussetzung. „Hüah“ schallt es durchs Städtchen, und die wilde Jagd beginnt.
Die Gröllratscher sind besonders schön anzusehen, wie sie durch die Gasse der Ratscher springen. Immer zwölf Schritte vorwärts, dann wieder verharren, um den Ratschern die Chance zum Nachkommen zu lassen. Über und über sind ihre weißen Kleider mit verschiedenen Glöckchen behangen. Zusätzlich tragen sie um den Leib einen Rollengurt.
Im unverkennbaren und unüberhörbaren Rhythmus bewegen sie sich durch den Ort. Die Unterberger Mandln sollen als Spottfiguren Bergleute darstellen, sie karikieren Kleinwüchsige. Die Mandln treten paarweise auf und tanzen zu den Klängen einer kleinen Tanzlmusi, sich beständig um die eigene Achse drehend. Bis 18 Uhr, also bis zum Betzeitläuten ziehen die Maschkera durch den Ort und vor allem durch die vielen Gasthäuser. „Hüah!“ schreit es und plötzlich rast wieder eine Gruppe Pfandlzieher wie irr um die Ecke. Aus dem Gasthaus Post kommt eine weitere Maschkeragruppe. Drei Plutarchen verschaffen sich mit Peitschenschlägen – abwechselnd knallend – Gehör, bevor die Bärentreiber mit dem Bären aus der Wirtsstube strömen. Kleine, kurzlederbehoste Jacklschutzer ahmen die Großen nach. Es ist ein buntes Treiben, das die urwüchsige Tradition aus jedem Winkel des alten Marktfleckens spüren lässt.
Um 18 Uhr müssen alle Schellen zu Hause sein. So will es die Tradition. Doch in den Gasthäusern geht es erst richtig los. Die Larven hängen über den Lampen und die Maschkera musizieren auf Teufel komm raus. Flügelhörner, Tuba, Harmonika, Gitarre, die Teufelsgeige und die Posaune in fröhlichem Alpenklang, ohne volkstümlich zu sein. Am Nebentisch erhebt eine ältere Frau mit antiquiertem Dutt ihre Stimme zu einem Jodler, und schon setzt der ganze Tisch zu einem polyphonen „Gemenge“ an, das den Zuhörern eine wohlig-schauernde Gänsehaut bereitet. Einer, der am Mittag noch als alter Schellenrührer mit blauen Hosen und roten Hosenträgern unterwegs war, hat zu tief ins Glas geschaut und schwankt durch die scheinbar bodenlose Wirtsstube, ergreift sich eine mutterseelen allein gelassene Harmonika und spielt derartig virtuos, als ob der Alkohol ihm die Finger beflügelt hätte.
Verkehrte Welt der Gottesfernen Im Werdenfelser Land hält sich hartnäckig die Meinung, dass man mit dem Faschingstrubel den Winter vertreiben würde. Das ist eine längst überholte These national denkender Volkskundler des frühen 20. Jahrhunderts. Neuere Forschungen der Ethnologen stellen ganz andere, schlüssige Zusammenhänge dar: Einmal im Jahr, an Fastnacht, verkehrt sich die Welt ins Gegenteil. Die gesellschaftliche Ordnung befindet sich in Auflösung. Dabei ziehen traditionell Figuren, die als außerhalb der Gesellschaft stehend betrachtet werden oder nicht christlich sind, für ein paar Tage das Augenmerk auf sich und übernehmen das Regiment; sie sollen das heidnische Inferno anzeigen, das sich nach Vorstellung der Kirche einstellen würde, wenn man sich nicht an die christlichen Gebote hält.
Fastnacht und Fastenzeit, das steht im sinnfälligen Zusammenhang. Es war die Nacht vor dem Fasten, in der alles verzehrt wurde, was in der Fastenzeit verboten war und verderben konnte. Und man schlug noch einmal über die Stränge und gab sich der Völlerei hin, ehe die entbehrungsreiche Zeit der fleischlichen Enthaltsamkeit im durchaus doppeldeutigen Sinne begann. Und so wurde die Figur des Narren, des außerhalb der Gesellschaft stehenden Gottesleugners, mit einem ausschweifenden Fress- und Sauffest in Verbindung gebracht. So viel zur Kulturgeschichte der Fastnacht.
In Mittenwald gibt es nicht nur eine Menge alter Larven, mittlerweile werden alte Larven auch nachgeschnitzt. Kaum kann man sie von den Originalen unterscheiden. Da sind Meister am Werk. Einer davon ist Walter Reiser. „Wenn’s a bissl guad geht, brauchat i zwoa Dog fir a Larvn!“, sagt er. Reiser bemalt sie mit Techniken, wie sie schon die alten Kirchenmaler anwendeten. Kasein aus Magerquark ist die Grundlage für die Farbe, die mit Pigmenten vermengt und auf das geschnitzte und geschliffene Holz aufgetragen wird. Zuerst wird die Larve aber mit Kreidegrund eingelassen, einer mit Lederleim gebundenen Steinkreide. Sie wird „gestupft“, also mit einem breiten runden Pinsel tupfend aufgetragen. Die Kreide schließt die Poren, sodass sich der hölzerne Untergrund perfekt mit der Grundierung verbinden kann. Nach dem Schleifen wird die Larve mit der Kaseinfarbe bemalt. Den Schluss bildet ein Schelllack, wie ihn auch die Geigenbauer verwenden. Die Sage geht um, dass Holzbildhauer Anfang des 18. Jahrhunderts beim Bau der Kirche als Bezahlung für ihre Wirtsleute auch Larven geschnitzt haben. Diese Masken nennt man bis heute Kirchenlarven. Die dünne Wandung und die sichere „Handschrift“ der wohlbedachten Schnitte bei den alten „Kurchalarvn“ zeigen deutlich, dass da routinierte Meister am Schnitzeisen gewesen sein müssen; Laienarbeiten sehen anders aus. 100 bis 150 Larven sollen die Barockkünstler damals geschaffen haben. Was für Walter Reiser das Wichtigste an der „Fosanacht“ ist, will ich zum Schluss unseres Kurzbesuchs noch wissen: „Dass man nett beinond sitzt und dass ma a Gaudi hot!“ Wenig später sitzen wir beim Fasl-Beck, als eine Beserergruppe das Lokal betritt. Selbstverständlich verlarvt. Sie haben Instrumente dabei: eine Harmonika, eine Gitarre und eine Scherrzither. Kaum sitzen sie, kaum haben sie ein Getränk, schon geht’s los. Sie spielen und singen, was das Zeug hält. Die Larve des einen Beserers kommt uns bekannt vor, nur war sie vor wenigen Stunden noch unbemalt ... Die Maschkera sitzen „nett beinond“ und sie haben eine Gaudi – und wir auch. Des Larvenschnitzers Faschingswunsch hat sich erfüllt. |
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|
|
|
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||